Über Gott und die Welt
der Inszenierung und folglich zu einem Teilnehmer an jener kommerziellen Verkaufsmesse, die scheinbar noch zur Fiktion gehört, aber faktisch den substantiellen Endzweck der ganzen Imitationsmaschine ausmacht.
In einem sehr schönen Essay über Disneyland als »degenerierte Utopie« (»eine degenerierte Utopie ist eine in Mythenform realisierte Ideologie«) hat Louis Marin die Struktur jener Straße einer Old Frontier Town analysiert, die den Besucher gleich am Eingang empfängt und zu den verschiedenen Teilen der Zauberstadt führt.
Die »Main Street« in Disneyland ist scheinbar der erste Akt der Fiktion, in Wahrheit jedoch eine höchst gelungene kommerzielle Realität, nämlich eine bestens kaschierte Einkaufsstraße. Sie präsentiert sich – wie übrigens die ganze Stadt – als vollkommen realistisch und zugleich vollkommen phantastisch, und hierin liegt Disneylands Überlegenheit (im Sinne der künstlerischen Gestaltung) über die anderen Spielzeugstädte: Seine Häuser sind
»lebensgroß« im Maßstab eins zu eins, so weit das Erdgeschoß reicht, und verkleinert im Maßstab zwei zu drei ab dem Oberstock, so daß sie den Eindruck erwecken, sowohl bewohnbar zu sein, was sie tatsächlich sind, als auch einem phantastischen Annodazumal anzugehören, das wir mit der Phantasie beherrschen können. Die Fassaden der »Main Street« präsentieren sich als Kulissen und locken uns spielerisch einzutreten, doch innen sind sie dann stets ein verkleideter Supermarkt, in dem wir einkaufen wie die Besessenen in der Meinung, es sei noch immer ein Spiel.
In diesem Sinne ist Disneyland hyperrealistischer als die Wachsmuseen, gerade weil diese uns ja noch weiszumachen versuchen, ihre Objekte seien getreue Reproduktionen der Realität, während Disneyland unmißverständlich klarstellt, daß es in seinem magischen Bannkreis nichts anderes reproduziert als die Phantasie. Das Museum der dreidimensionalen Kunst verkauft seine Venus von Milo als »quasi echt«, während Disneyland sich erlauben kann, seine Reproduktionen als Meisterwerke der Fälscherkunst zu verkaufen, denn was es tatsächlich verkauft, nämlich seine Waren, sind keine Reproduktionen, sondern authentische Waren. Was gefälscht wird, ist unsere Kaufl ust, und in diesem Sinne ist Disneyland wirklich die Quintessenz der Konsumideologie.
Hat man indessen erst einmal zugegeben, daß »alles falsch«
ist, so muß es, um genießbar zu sein, ganz echt aussehen. Darum hat das polynesische Restaurant, abgesehen von einer recht glaubhaften Speisekarte, tahitianische Kellnerinnen in passender Kostümierung, echte Südsee-Vegetation, richtige Felswände mit kleinen Wasserfällen etc. und sobald der Gast es betreten hat, darf nichts mehr in ihm den Verdacht erregen, daß draußen noch etwas anderes sein könnte als Polynesien. Wenn zwischen zwei Bäumen ein Stückchen von einem Fluß zu sehen ist, der zu einer anderen Abteilung gehört, etwa zu »Adventureland«, dann wird der Abschnitt so hergerichtet, daß es dem Gast nicht unwahrscheinlich vorkommt, in Tahiti hinter der Gartenhecke solch einen Fluß zu sehen. Und während das Wachs in den Wachsmuseen nicht Fleisch ist, bekommt man in Disneyland, wenn es um Felsen geht, richtigen Felsen serviert, und wenn von Wasser die Rede ist, richtiges Wasser, und ein Baobab ist ein Baobab. Und wenn uns Disneyland »Fälschungen« präsentiert, künstliche Flußpferde, Dinosaurier, Seeschlangen, dann nicht so sehr, weil die echten Äquivalente unmöglich zu beschaffen wären, als vielmehr, weil wir die Perfektion der Fälschung und ihr pro-grammgemäß-pünktliches Funktionieren bewundern sollen. In diesem Sinne produziert Disneyland nicht nur Illusion, sondern weckt auch – ohne es zu verleugnen – den Wunsch nach ihr: Echte Krokodile fi ndet man auch im Zoo, und gewöhnlich dösen sie vor sich hin und verstecken sich. Disneyland aber sagt uns, daß die gefälschte Natur viel besser unseren Wachtraumwünschen entspricht. Wer in vierundzwanzig Stunden (wie es mir durch gute Programmierung gelungen ist) vom falschen New Orleans in Disneyland zum echten in Louisiana kommt und vom Wildfl uß in Adventureland zu einer Raddampferfahrt auf dem Mississippi, wo der Kapitän erklärt, man könne am Flußufer Krokodile sehen, aber man sieht dann keine – der ist versucht, jenem Disneyland nachzutrauern, in dem sich die wilden Tiere nicht lange bitten lassen. Disneyland sagt uns, daß die Technik mehr Wirklichkeit geben kann als die
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