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Über Gott und die Welt

Über Gott und die Welt

Titel: Über Gott und die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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nach Einlaß zu festen Zeiten wie bei einer Theateraufführung, muß man vor einem geschlossenen Vorhang Platz nehmen, links die Vatikanische Pietà, rechts die Skulpturen der Medici-Kapelle. Ehe der Vorhang aufgeht, muß man sich eine lange Rede anhören, in welcher eine sonore Tonbandstimme ausführlich erklärt, daß diese Krypta nichts anderes ist als die Neue Westminster Abbey, die Grabstätte von Persönlichkeiten wie Gutzon Borglum, Jan Styka, Carrie Jacobs-Bond und Robert Andrews Millikan. Abgesehen davon, daß letzterer ein Nobelpreisträger für Physik war, will ich hier gar nicht versuchen, die anderen vorzustellen (die Bond zum Beispiel war die Autorin von I love you truly). Ohne die Westminster Abbey wären so manche Persönlichkeiten, die uns heute historisch erscheinen, unbekannte Dutzend-Barone geblieben; um sich ewigen Ruhm zu erringen, braucht man vor allem kosmische Dreistigkeit. Wer bitte schön wäre heute, gäbe es nicht das Grab gleichen Names, Caecilia Metella?
    Gut. Ehe nun also den staunenden Blicken des Publikums die gläserne Reproduktion des Abendmahls sich enthüllt, erzählt uns Die Stimme, was Mr. Eaton einst widerfuhr, als er zu Mailand in Santa Maria delle Grazie vor dem verwitterten Fresko stand und sich inneward, daß Leonardos Meisterwerk durch das vereinte Wirken der Zeit und der menschlichen Ruchlosigkeit (es war vor dem Zweiten Weltkrieg) eines Tages zerstört sein würde. Ergriffen von heiligem Konservatorenfi eber kontaktierte er die Signora Rosa Caselli-Moretti, Sproß einer alten Handwerkerdynastie aus Perugia, und bestellte bei ihr eine Reproduktion des berühmten Wandgemäldes auf Glas. Nicht wie es heute in Santa Maria delle Grazie zu sehen ist, sondern wie es vermutlich ausgesehen haben dürfte, als Leonardo es malte, beziehungsweise – noch besser – wie Leonardo es gemalt haben würde, wäre er nicht so träge gewesen, drei Jahre damit zu vertrödeln, ohne es fertigzubringen. An dieser Stelle hebt sich der Vorhang. Und ich muß sagen, verglichen mit den in ganz Kalifornien verstreuten wächsernen Reproduktionen ist diese gläserne der Caselli-Moretti solide Handwerksarbeit und würde sich in einer neugotisch-europäischen Kirche nicht übel ausnehmen. Die Autorin hatte sogar die Umsicht, das Antlitz Christi im vagen zu lassen, durchdrungen von der gleichen Scheu wie Leonardo vor der Ikone des Göttlichen – woraufhin nun die Touristenorganisation dafür sorgt, daß bewegliche Punktstrahler hinter der Scheibe die feinen Nuancen des Sonnenlichts (am Morgen, am Mittag, am Abend) so wiedergeben, daß sie die Mobilität der Züge Jesu im Spiel der atmosphärischen Variationen zeigen.
    Diese ganze Maschinerie zur Reproduktion der Vergangenheit ist in Forest Lawn auf Profi tzwecke ausgerichtet. Eine große gräzisierende Stelle am Eingang der Leonardo-Kapelle trägt eingraviert die schicksalsschwangeren Worte: »Warum meinen Sie, ein Begräbnis in Forest Lawn sei zu teuer? Rechnen Sie erst einmal nach. Bedenken Sie, daß wir zwanzig Familien pro Tag bedienen, statt nur eine oder zwei wie die anderen Friedhöfe.
    Damit verringern sich die Gemeinkosten …« Es folgen weitere Angaben, stets mit der Aufforderung, erst einmal nachzurechnen, bevor man übereilte Behauptungen aufstellt. Dennoch verkündet Forest Lawn dieselbe Ideologie wie das Getty Museum, das dem Publikum kostenlos zur Verfügung steht. Nämlich daß die Neue Welt jenes kostbare Erbe zu wahren habe, das die Alte Welt aus Nachlässigkeit und Desinteresse verkommen zu lassen droht.
    Natürlich soll diese Ideologie etwas verbergen: das Profi tstreben im Falle des Friedhofs und im Falle von Getty den Umstand, daß es gerade der unternehmerische Imperialismus der Neuen Welt ist (zu dem auch Paul Gettys Ölimperium gehört), der die Alte Welt immer mehr schwächt. Also genau die Krokodilstränen des römischen Patriziers, der die Pracht und Herrlichkeit jenes Hellas reproduzierte, das sein Land zuvor auf die Stufe einer Kolonie hinabgedrückt hatte. Infolgedessen gründet die Ideologie des Letzten Ufers ihren Drang nach Erhaltung der Kunst auf eine imperialistische Effi zienz, ist aber gleichzeitig auch deren schlechtes Gewissen, so wie die Kulturanthropologie das schlechte Gewissen des Weißen Mannes ist, der seine Schuld gegenüber den zuvor von ihm selbst zugrunde gerichteten Primitiven abtragen will.
    Dies festgestellt, wäre es gleichwohl ungerecht und überheb-lich, wollten wir diese amerikanische Realität

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