Über Gott und die Welt
Adams, doch innen enthält es die kompletteste Sammlung von Spukgestalten, die der Besucher sich wünschen kann: Man geht über einen verlassenen Friedhof, wo Knochenhände aus dem Innern der Gräber die Grabsteine heben, man überquert einen Hügel, auf dem ein kompletter Hexensabbat gefeiert wird, mit allen möglichen Kobolden, Irrlichtern und so weiter, man schwebt durch einen Saal mit gedeckter Tafel, umtanzt von transparenten Phantomen in Gewändern aus alter Zeit, während hauchzarte Tafelgäste, stellen-weise in Luft aufgelöst, am Bankett eines barbarischen Herrschers teilnehmen, man wird von Spinnweben sacht gestreichelt, man spiegelt sich in Kristallen und sieht hinter sich eine grünlich-blasse Gestalt, man begegnet schwebenden Kandelabern …
Nie sind es billige Tricks nach Art unserer Geisterbahnen, die Einbeziehung des Zuschauers (klug temperiert durch die Komik der Einfälle) ist total. Wie in den neuesten Horrorfi lmen aus Hollywood: Es gibt kein Abschalten, keine Distanz, man erlebt nicht den Schrecken anderer, man ist selber mitten im Schrecken durch totale Synästhesie, und wenn die Erde bebt, muß auch der Kinosaal zittern.
Ich würde sagen, die beiden geschilderten Attraktionen re-sümieren die Philosophie von Disneyland besser als die gewiß perfekten Modelle des Piratenschiffs, des Raddampfers und der Karavelle »Columbia« (die selbstverständlich alle begehbar sind).
Besser auch als die Abteilung »Future« mit den Science-fi ction-Gefühlen, die sie hervorzurufen vermag (etwa durch einen Flug zum Mars, den man in einem Raumschiff erleben kann, mit allen Dezelerationseffekten, Verlust der Schwerkraft, schwin-delerregende Entfernung von der Erde etc.). Besser auch als die Modelle von Interkontinentalraketen und Atom-U-Booten, zu denen Louis Marin scharfsinnig notiert hat, daß sie – während die falsche Westernstadt, das falsche New Orleans oder der falsche Urwald lebensgroße Doubles organischer, aber vergangener oder fi ktiver Ereignisse liefern – sich nun ihrerseits als verkleinerte Modelle technischer Realitäten der Gegenwart präsentieren, so daß mithin dort, wo die Sache als solche nicht glaubhaft ist, die Nachbildung in voller Größe einspringt, und wo sie von hoher Wahrscheinlichkeit ist, die Verkleinerung interveniert, um sie zu verharmlosen und zur bloßen Fiktion zu verniedlichen … Die Piraten und die Gespenster indessen resümieren ganz Disneyland, da sie die ganze Stadt in einen riesigen Automaten verwandeln –
Traum jener Konstrukteure in der Barockzeit, die den Schreiber von Neuchâtel ersannen und den schachspielenden Türken des Barons von Kempelen.
Die Präzision und Logik von Disneyland wird in gewisser Hinsicht getrübt durch die maßlosen Ambitionen von Disney World in Florida. Später erbaut, ist Disney World hundertfünfzigmal größer als Disneyland und hat den Ehrgeiz, nicht als Spielzeugstadt zu erscheinen, sondern als Modell einer Riesenmetropole der Zukunft. Was in Kalifornien
Disneyland war, ist hier nur ein Randphänomen der immensen Flächenbebauung, die sich über ein Areal von der doppelten Größe Manhattans erstreckt. Die stromlinienförmige Einschienenbahn, die den Besucher vom Eingang zum »Magic Kingdom« bringt (dem eigentlichen Disneyland), fährt über künstliche Buchten und Lagunen, passiert ein Schweizerdorf und ein Südseedorf, gleitet an Golf- und Tennisplätzen vorbei, an einem enormen Hotelkomplex – kurzum: durch eine futuristische Freizeitlandschaft für organisierte Ferien. Erreicht man schließlich das Magic Kingdom, ist man bereits so erschlagen von all diesen Science-fi ction-Bildern, daß die hochaufragende gotische Ritterburg (die noch viel gotischer ist als ihr Gegenstück im kalifornischen Disneyland, sozusagen eine Kathedrale von Straßburg gegen eine Basilika wie San Miniato al Monte) die Phantasie nicht mehr überrascht. Das Morgen mit seiner Gewalt hat die Geschichten von gestern farblos gemacht. Disneyland in Kalifornien ist hierin viel gewitzter, es will betreten werden, ohne daß den Besucher noch irgend etwas an die Zukunft ringsum erinnert: Um hinzugelangen, hat Louis Marin notiert, muß man das Auto auf einem riesigen Parkplatz lassen und die Grenzen der Traumstadt in einer eigens zu diesem Zweck eingerichteten Kleinbahn erreichen – und das Auto zurücklassen heißt für den Kalifornier die eigene Menschennatur zurücklassen, um sich einer anderen Macht auszuliefern und jeder eigenen Aktivität zu
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