Über Gott und die Welt
Geheimnisse der NATO erfahren würden (offene Geheimnisse), ist nur ein Vorwand. Die wirkliche Sorge des Systems der multinationalen Konzerne ist (und das sage ich hier sehr kühl, ohne die geringste Sympathie für den historischen Kompromiß, wie er uns heute von seiten der KPI propagiert wird), daß Kontrolle durch die Parteien des Volkes eine Verwaltung der Macht behindert, die sich keine Ausfallzeiten für Nachprüfungen an der Basis leisten kann.
Der Terrorismus dagegen macht dem System sehr viel weniger Sorgen, er ist nur eine Art biologische Konsequenz der Multis, so wie ein Tag Fieber der vernünftige Preis für eine wirksame Schutzimpfung ist.
Wenn die Roten Brigaden recht haben mit ihrer Analyse einer Weltregierung der Multis, dann müssen sie zugeben, daß sie selber nichts anderes sind als deren natürliches und einkalkuliertes Gegenstück. Sie müssen zugeben, daß sie ein Stück spielen, dessen Text ihnen ihre vermeintlichen Gegner geschrieben haben. Statt dessen, nachdem sie wie grob auch immer ein Grundprinzip der Systemlogik aufgedeckt haben, antworten sie mit einem kitschig-romantischen Groschenroman voll fi nsterer Ränkeschmiede und tapferer Rächer der Enterbten, edel und effi zient wie der Graf von Monte Cristo. Man könnte darüber lachen, wenn dieser Roman nicht mit Blut geschrieben wäre.
Der Kampf wird zwischen großen Mächten ausgetragen, nicht zwischen Dämonen und Helden. Unglücklich das Volk, in dessen Mitte sich »Helden« regen, besonders wenn diese auch noch in religiösen Begriffen denken und das Volk mit hineinreißen in ihren blutigen Aufstieg zu einem verödeten Paradies.
( La Repubblica, 23. März 1978)
Warum lachen sie in ihren Käfi gen?
Vor gut drei Jahren schickte ich der Repubblica einen Artikel, der eigentlich kein Artikel war, sondern eine kurze Geschichte im Stil einer »Uchronie«, das heißt einer rückwärtsgewandten Utopie oder Science-fi ction, ein Gedankenspiel nach dem Muster »Was wäre geschehen, wenn Caesar nicht ermordet worden wäre«.
Da es Fiktion und nicht politische Refl exion war, landete das kleine Opus im Feuilleton. Jeder Autor ist von den Sachen, die er schreibt, mehr oder weniger angetan, und manche gefallen ihm besser als andere; ich war auf die kurze Geschichte sehr stolz. Doch anders als bei so vielen Sachen, die ich mit weniger Engagement geschrieben habe, kam diesmal keine einzige interessante Reaktion. Vermutlich weil bei uns außer den Fans der Gattung nur wenige Leser der Meinung sind, daß Uchronien (wie Utopien) eine sehr ernsthafte Form von Refl exion über die Gegenwart darstellen.
Worum ging es in der Geschichte? Ich hatte mir vorgestellt, die Dinge in Italien und in der Welt seien nach Yalta und dem Ende des Zweiten Weltkriegs anders gelaufen und Italien befände sich seit 1968 im Krieg mit einem faschistischen Großtürkischen Reich, das bereits den ganzen östlichen Mittelmeerraum und den Vorderen Orient bis nach Persien beherrschte. Ich malte mir die verschiedenen politischen Allianzen aus, die sich daraus ergeben hätten, und sah insbesondere die Rotbrigadisten der ersten Generationen, die »historischen Gründer« Curcio, Gallinari & Co. als Kommandanten von Sondereinheiten der italienischen Armee, hochdekorierte Kriegshelden, und die heroischen Roten Brigaden als engagierte Kämpfer gegen die türkischen Invasoren, im Parlament gefeiert von Großkopfeten der KPI wie Giorgio Amendola, während Papst Paul VI. melancholische Refl exionen darüber anstellte, wieviel ruhiger es in Italien gewesen wäre, wenn wir nach 1945 dreißig Jahre Frieden gehabt hätten.
Was wollte ich damit sagen? Daß unsere demokratische
Intelligenz bestimmte Theorien der Verhaltensforschung allzu leichtfertig als reaktionär abgestempelt hat: Theorien, nach denen in der Gattung (in jeder Gattung) ein gewisses Maß an Gewalt existiert, das sich irgendwie äußern muß. Die Kriege, die von den Futuristen nicht zu Unrecht, wenn auch mit infamer Genugtuung, als die »einzige Hygiene der Welt« verherrlicht wurden, sind wichtige Sicherheitsventile zur Abfuhr und Sublimierung dieser Gewalt. Wenn es keine Kriege gibt (und ich persönlich würde es vorziehen, daß es möglichst wenige gäbe), muß man sich mit dem Gedanken abfi nden, daß die Gesellschaft das Maß an Gewalt, das sie in sich hat, irgendwie abreagiert.
Doch die Moral der Geschichte war noch eine andere. Nämlich daß die Abreaktion dieser Gewalt, solange sie nur erfolgt, sich ebensogut in
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