Über Gott und die Welt
dir der Doktor Azzeccagarbugli (der Rechtsverdreher, auch Doktor Pfi ffi kus, Doktor Händelfi scher genannt11) von »parallelen Konvergenzen« im Streit der Parteien und lähmt damit deine Bereitschaft zum Eingriff ins öffentliche Geschehen? Oder zwingt dich am Ende gar Don Rodrigo, indem er die »Einkommenshäufungsregelung« durchsetzt, zur Zahlung noch höherer Steuern, als sie der Ungenannte entrichtet, der seine Gelder ins Bergamaskische transferiert?
Renzo: Mich bedrückt, o aufmerksamer Besucher, der »Graue«.
Er hat jetzt Banden mit seinesgleichen organisiert und raubt, von ehrlosen Fährleuten unterstützt, noch immer junge Mädchen, doch nun auf eigene Rechnung, um fettes Lösegeld zu erpressen, und hat er’s bekommen, so scheut er sich nicht, sie barbarisch zu töten. Und wo die Ehrlichen ihre Vermögen lagern, bricht er ein, das Gesicht unter Seidenstrümpfen verhüllt, und raubt und plündert, und nimmt sich weitere Geiseln und terrorisiert unsere Städte, die längst zu Schauplätzen wüster Verbrechen geworden sind, während die braven Bürger vor ihm erzittern und die Häscher machtlos der Ausbreitung des Verbrechens zusehen müssen, ohne ihr etwas entgegensetzen zu können, so daß die Guten und Ehrlichen sich mit Schaudern fragen, wohin das alles noch führen soll.
Und ich, der ich doch so sanftmütig und jovial bin, der ich die Thesen eines der Großen dieses Landes vertreten habe, nämlich des Rechtsgelehrten Beccaria, der so überzeugend dargetan hatte, daß der Staat nicht lehren kann, das Töten zu unterlassen, wenn er selbst die legale Tötung betreibe, auch ich fühle mich verstört.
Und ich frage mich, ob es nicht an der Zeit ist, für derart schlimme Verbrechen die Todesstrafe wieder einzuführen, zum Schutze des wehrlosen Bürgers und zur Warnung an alle, die ihm Böses tun wollen.
Eco: Ich verstehe dich, Renzo. Es ist menschlich, daß angesichts grauenvoller Verbrechen, wenn blutjunge Mädchen den geliebten Eltern entrissen werden, spontan der Gedanke an Rache aufkommt und das Bedürfnis nach einer Verteidigung bis zum Äußersten. Auch ich bin Vater und frage mich oft, was ich täte, gesetzt den Fall, mein Sohn wäre von unbekannten Entführern getötet worden und es gelänge mir, den Schuldigen zu fassen, ehe die Häscher ihn fänden.
Renzo: Und was würdest du tun?
Eco: Mein erster Impuls wäre, ihn zu töten. Aber ich würde mich zügeln und mir sagen, daß es sehr viel befriedigender für meinen wilden Schmerz wäre, wenn ich ihn vorher noch einer langen Tortur unterzöge. Ich würde ihn an einen sicheren Ort verbringen und damit beginnen, ihm die Hoden zu malträtieren. Dann die Fingernägel, am besten durch Einführung kleiner Bambusspäne, wie es von grausamen orientalischen Völkern berichtet wird. Dann würde ich ihm die Ohren abreißen und seinen Kopf mit blanken elektrisch geladenen Drähten martern.
Und nach diesem Bad in Blut und Grauen hätte ich dann das Gefühl, daß mein Schmerz, wenn schon nicht besänftigt, so doch mit Wildheit gesättigt wäre. Und würde mich meinem Schicksal ergeben, wissend, daß meine Seele nie mehr die frühere Ruhe und Ausgeglichenheit fi nden würde.
Renzo: Siehst du, also …
Eco: Ja, doch gleich danach würde ich mich den Hütern des Gesetzes stellen, auf daß sie mich in Ketten legten und exemplarisch bestraften, denn schließlich hätte ich ein Verbrechen begangen, nämlich einen Menschen getötet, was man nicht darf.
Als mildernd käme mir zwar der Umstand zugute, daß zwischen dem Schmerz eines jäh seines Kindes beraubten Vaters und dem Wahnsinn nicht viel Unterschied ist, und ich würde um besondere Nachsicht bitten. Aber nie könnte ich vom Staat verlangen, an meine Stelle zu treten, auch weil der Staat keine Leidenschaften zu befriedigen hat, sondern nur darauf beharren muß, daß es in jedem Fall böse ist, einen Menschen zu töten. Und folglich kann der Staat keine Menschen töten, um zu lehren, daß es böse ist, Menschen zu töten.
Renzo: Ich kenne diese Argumente. Die Wiedereinführung der Todesstrafe wird von zweifelhaften Leuten gefordert, deren Bestreben die Ordnung als Terror ist, um die Zeit der Gewaltherrschaft wiederherzustellen. Vor einigen Tagen las ich jedoch in einer der einfl ußreichsten Gazetten unseres Landes einen langen und wohlüberlegten Artikel eines gestrengen Philosophen, der am Ende, nach gebührender Abwägung alles einschlägigen Für und Wider, mit subtilen Paralipsen die Frage aufwirft,
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