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Über Gott und die Welt

Über Gott und die Welt

Titel: Über Gott und die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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internationale Weltpolitik heute nicht mehr von einzelnen nationalen Regierungen bestimmt wird, sondern genau von einem internationalen Netz produk-tionsorientierter Interessen (nennen wir es ruhig das Netz der Multis), das über die lokale Politik sowie über Krieg und Frieden entscheidet und die Verhältnisse zwischen kapitalistischer Welt, Sowjetblock, China und Dritter Welt etabliert.
    Interessant ist allenfalls, daß die Roten Brigaden ihre Mythologie à la Walt Disney aufgegeben haben, derzufolge es auf der einen Seite einen fi esen individuellen Kapitalisten gab, der Dagobert Duck hieß und immer im Geld schwamm, und auf der anderen die Panzerknackerbande, wüste Gesellen zwar, aber doch irgendwie sympathieträchtig, weil sie dem kapitalistischen und egoistischen Geizkragen seine Moneten nach der Melodie der proletarischen Expropriation abnahmen.
    Das Spiel der Panzerknackerbande hatten die uruguayischen Tupamaros gespielt, überzeugt, daß die brasilianischen und argentinischen Dagoberts sauer werden und Uruguay in ein zweites Vietnam verwandeln würden, während die braven Bürger zunehmend mit den Panzerknackern sympathisieren und sich in ebensoviele Vietcong verwandeln würden. Das Spiel hat nicht geklappt: Brasilien rührte sich nicht, und die Multis, die in jener Weltgegend ungestört produzieren und verkaufen wollten, lie-
    ßen Peron nach Argentinien zurückkommen, spalteten dadurch die revolutionären Kräfte oder Guerillabewegungen, ließen den Peronismus mit seiner Nachkommenschaft dann am gestreckten Arm verhungern, bis er hoffnungslos in der Tinte saß, woraufhin die cleversten Montoneros sich nach Spanien absetzten, während die idealistischsten ihre Haut riskierten und draufgingen.
    Gerade weil die Supermacht der Multis existiert (haben wir Chile vergessen?), ist die Idee der Revolution à la Che Guevara unmöglich geworden. Die russische Revolution wurde gemacht, als alle europäischen Staaten in einen Weltkrieg verwickelt waren; der lange Marsch in China wurde organisiert, als die ganze übrige Welt mit anderen Dingen beschäftigt war. Heute dagegen, in einer Welt, in der ein supranationales System von Produktionsinteressen sich des atomaren Gleichgewichts bedient, um einen Frieden zu erzwingen, der allen gelegen kommt, und Satelliten in den Himmel schickt, die sich gegenseitig überwachen, heute ist eine nationale Revolution nicht mehr machbar, weil alles woanders entschieden wird.
    Der »historische Kompromiß« auf der einen Seite und der politische Terrorismus auf der anderen stellen zwei (offensichtlich konträre) Antworten auf diese Lage dar. Die konfuse Idee, die den Terrorismus antreibt, ist ein sehr moderner und sehr kapitalistischer Grundsatz der Systemtheorie (dem der klassische Marxismus unvorbereitet gegenübersteht): Die großen Systeme haben keine Protagonisten, keinen Kopf, und sie beruhen auch nicht mehr auf dem Egoismus des einzelnen. Daher schlägt man sie nicht, indem man ihren vermeintlichen Häuptling tötet, sondern indem man sie durch Sabotageakte, die sich ihrer eigenen Logik bedienen, destabilisiert. Eine völlig durchautomatisierte Fabrik würde, wenn es sie gäbe, nicht durch den Tod ihres Chefs aus dem Takt gebracht, sondern durch Einschleusung einer Reihe von irreführenden Informationen, die den Computern, die sie steuern, die Arbeit erschweren.
    Der moderne Terrorismus gibt vor (oder glaubt), über Marx nachgedacht zu haben. In Wirklichkeit hat er, teils auch auf Umwegen, einerseits über Norbert Wiener und andererseits über die Science-fi ction-Literatur nachgedacht. Allerdings hat er nicht genügend über sie nachgedacht und hat nicht genug Kybernetik studiert. Beweis dafür ist, daß die Roten Brigaden in ihrer ganzen bisherigen Propaganda immer noch davon sprachen, sie wollten »den Staat im Herzen treffen« – womit sie einerseits noch den idealistischen Staatsbegriff des 19. Jahrhunderts hegten und andererseits die Idee, daß der Gegner ein Herz oder einen Kopf hätte – wie in den Schlachten von einst, als das feindliche Heer geschlagen war, wenn es gelang, den an der Spitze seiner Truppen reitenden König zu treffen.
    Im neuesten Flugblatt der Roten Brigaden steht nun nichts mehr vom Herzen, vom Staat, vom bösen Kapitalisten und vom Minister als »Henker«. Jetzt ist der Feind das System der multinationalen Konzerne, und Moro ist bloß sein Angestellter, allenfalls ein besonderer Informationsträger.
    Worin liegt dann der Denkfehler (in Theorie und

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