Über Gott und die Welt
werden.
Renzo: O nein!
Eco: Und doch würdest du einen lebenden Menschen, indem du ihn tötest, als Mittel zur Abschreckung anderer Menschen benutzen.
Renzo: Ja, aber da er gemordet hat, ist er weniger Mensch als die anderen--Oder nicht?
Eco: Nein. Und es beunruhigt mich, daß gerade jene, die bereit sind, einen Mörder als minderen Menschen zu sehen, sich andererseits gegen jede Abtreibungspraxis verwahren, indem sie sagen, ein Mensch sei immer ein Mensch, auch wenn er vorerst nur der Ansatz zu einem Foetus ist. Befi nden sich jene nicht in einem Widerspruch?
Renzo: Du bringst mich ganz durcheinander. Und was ist dann mit der Notwehr?
Eco: Notwehr liegt vor, wenn zwei Menschen aneinandergeraten, von denen der eine versucht, den anderen zu seinem Mittel herabzumindern, und der andere dieser Gewalttat ausweichen muß: wenn möglich ohne den Angreifenden zu töten, aber wenn es nicht anders geht, indem er ihn gewaltsam an der Gewalttat hindert. In diesem Fall geht das Recht des Unschuldigen dem des Schuldigen vor.
Doch wenn der Staat den Schuldigen hinrichten läßt, so hindert er ihn nicht mehr am Begehen der Tat, sondern benutzt ihn, ich wiederhole es, nur noch als Mittel. Und hat man erst einmal begonnen, einen Menschen als Mittel zu benutzen in der Meinung, es gebe Menschen, die weniger Menschen seien als andere, so unterhöhlt man das Fundament des Gesellschaftsvertrages, auf dem der Staat sich erhebt. Beim Problem der Abtreibung geht es gar nicht so sehr um die Frage, ob es erlaubt sei, einen Menschen zu töten, sondern mehr darum, ob ein Foetus ein Mensch sei und –
auch als formloser Ansatz im Uterus – bereits den Gesetzen des Gesellschaftsvertrages unterliege, oder nicht eher als Eigentum des Mutterleibes zu gelten habe.
Doch ein Mörder, eingefügt in den Gesellschaftsvertrag, ist in jeder Hinsicht ein Mensch. Und wenn du meinst, er sei weniger Mensch als andere, wirst du morgen womöglich auch jene als mindere Menschen betrachten, die sich erkühnen, die Todesstrafe zu fordern, und ihren Tod verlangen, um die anderen von derart schlimmem Gedankengut zu befreien.
Renzo: Aber was soll ich dann tun?
Eco: Frage dich einmal, ob Don Rodrigo in seiner Burg
nicht womöglich die Mafi a der Fährleute kontrolliert, indem er Dublonen ins Bergamaskische schmuggelt und den »Grauen«
ermuntert, durch Menschenraub Lösegeld zu erpressen.
Renzo: Und angenommen, ich hätte das aufgedeckt?
Eco: Dann würdest du begreifen, daß der Tod des »Grauen«
auf dem Schafott nicht das Leben deiner Kinder verbürgt, da er Don Rodrigo nicht schrecken würde …
Renzo: Und was würde ihn schrecken?
Eco: Tyrannenmord. Aber das ist ein anderes Thema.
(1975)
IV
Nachrichten aus dem Weltdorf
Für eine semiologische Guerilla****
Es ist noch nicht allzu lange her, da genügte es, wenn man in einem Land die politische Macht erobern wollte, die Armee und die Polizei zu kontrollieren. Heute kommt es nur noch in unterentwickelten Ländern vor, daß die faschistischen Generäle, um einen Staatsstreich zu machen, Panzer einsetzen. Ab einer gewissen Industrialisierungsstufe ändert sich das Panorama total – am Tag nach dem Sturz Chruschtschows wurden die Direktoren der Prawda, der Iswestija und der Sendeanstalten abgelöst, in der Armee rührte sich nichts. Heute gehört ein Land dem, der die Kommunikation beherrscht.
Wer die Lektion der Realgeschichte noch nicht überzeugend fi ndet, kann auch die Fiktion zu Hilfe nehmen, die ja bekanntlich – wie Aristoteles lehrt – viel wahrscheinlicher ist als die Wirklichkeit. Drei amerikanische Filme der letzten Jahre, Seven Days in May von John Frankenheimer, Dr. Strangelove von Stanley Kubrick und Fail Safe von Sidney Lumet, behandeln die Möglichkeit eines Militärputschs gegen die Regierung der Vereinigten Staaten, und in allen drei Filmen versuchen die Militärs nicht, das Land durch Waffengewalt in die Hand zu bekommen, sondern durch die Kontrolle über Telegraph, Telefon und Sendeanstalten.
Damit sage ich hier nichts Neues. Längst hat nicht nur die Kommunikationswissenschaft, sondern auch die breite Öffentlichkeit wahrzunehmen begonnen, daß wir im Zeitalter der Kommunikation und der Massenmedien leben. Information ist, wie Marshall McLuhan dargelegt hat, nicht mehr ein Mittel zur Produktion ökonomischer Güter, sondern selber zum wich-tigsten Gut geworden. Die Kommunikation hat sich in eine Schwerindustrie verwandelt. Wenn die ökonomische Macht aus den Händen der
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