Über Gott und die Welt
Produktionsmittelinhaber in die Hände der Inhaber jener Informationsmittel übergeht, die bestimmend für die Kontrolle der Produktionsmittel sind, dann bekommt auch das Problem der Entfremdung eine neue Dimension. Vor dem Schatten eines Kommunikationsnetzes, das sich ausbreitet, um die ganze Welt zu umspannen, wird jeder Bürger der Welt zum Mitglied eines neuen Proletariats. Und kein revolutionäres Manifest könnte diesem Proletariat zurufen: »Proletarier aller Länder, vereinigt euch!« Denn selbst wenn die Kommunikationsmittel in ihrer Eigenschaft als Produktionsmittel den Besitzer wechseln sollten, bliebe die Situation der Entmündigung unverändert. Jedenfalls ist zu befürchten, daß die Kommunikationsmittel entfremdend wären, auch wenn sie der Allgemeinheit gehörten.
Was die Presse gefährlich macht, ist nicht (oder jedenfalls nicht nur) die ökonomische und politische Macht, die hinter ihr steht.
Die Presse als Mittel zur Meinungskonditionierung war bereits defi niert, als die ersten Zeitungen aufkamen. Wenn einer jeden Tag so viele Nachrichten, wie der verfügbare Raum erlaubt, so abfassen muß, daß sie für ein breites, über ein ganzes Land verstreutes Publikum von unterschiedlicher Klassen-, Interessen-und Bildungslage verständlich sind, ist es um die Freiheit des Schreibenden schon geschehen: Die Inhalte der Nachrichten hängen nicht mehr vom Autor ab, sondern von den technischen und sozialen Determinanten des Mediums.
Das alles haben die strengsten Kritiker der Massenkultur bereits vor langer Zeit wahrgenommen und daraus die These abgeleitet, die Massenmedien transportierten nicht Ideologien, sondern seien selbst eine Ideologie. In dieser Position, die ich in einem meiner Bücher als »apokalyptisch« bezeichnet habe12, ist unterschwellig ein anderes Argument enthalten, nämlich daß es gleichgültig sei, welche Nachrichten durch die Kanäle der Massenkommunikation übermittelt werden: Wenn den Empfänger eine Vielzahl von Informationen bestürmt, die ihn durch verschiedene Kanäle erreichen, alle zugleich und in einer gegebenen Form, dann hat die Art dieser Informationen kaum noch Gewicht. Was zählt, ist allein das unaufhörliche gleichförmige Bombardement der Medien, in dem die verschiedenen Inhalte sich nivellieren und ihre Unterschiede verlieren.
Dieselbe Position vertritt bekanntlich auch Marshall McLuhan in Understanding Media. Nur ziehen die »Apokalyptiker« aus dieser Überzeugung eine tragische Konsequenz: Losgelöst von den Inhalten der Kommunikation empfange der Adressat der massenmedialen Botschaften nur noch eine globale ideologische Lektion, den Appell zur narkotisierenden Passivität. Im Sieg der Massenmedien sterbe der Mensch.
Dagegen schließt McLuhan aus denselben Prämissen, im Sieg der Massenmedien sterbe zwar der »homo gutenbergianus«, aber es werde ein anderer Mensch geboren, der es gewohnt sei, die Welt auf andere Weise wahrzunehmen. Wir wüßten nicht, ob dieser andere Mensch besser oder schlechter sein werde, aber auf jeden Fall sei er ein neuer Mensch. Wo die Apokalyptiker das Ende der Geschichte sehen, sieht McLuhan den Anfang einer neuen historischen Phase. Das gleiche geschieht, wenn ein strenger Vegetarier mit einem LSD-Schlucker diskutiert: Der eine sieht in der Droge das Ende der Vernunft, der andere den Anfang einer neuen Sensibilität. Aber beide sind sich einig über die chemische Zusammensetzung der Psychedelika.
Der Kommunikationswissenschaftler hat sich jedoch
zu fragen, ob die chemische Zusammensetzung in allen
Kommunikationsakten immer dieselbe ist.
Natürlich gibt es Erzieher, die einen schlichteren Optimismus der aufklärerischen Sorte bezeugen: Sie haben ein festes Vertrauen in die Kraft des Inhalts der Botschaft. Sie glauben noch an die Möglichkeit einer Veränderung des Bewußtseins durch Veränderung der TV-Sendungen, des Wahrheitsgehalts in der Werbung und des Genauigkeitsgrades der Meldungen in den Zeitungsspalten.
Ihnen wie den Vertretern der These The medium is the mes-sage möchte ich ein Bild in Erinnerung rufen, das wir in vielen Cartoons und Comics gefunden haben, ein etwas veraltetes, leicht rassistisches Bild, das aber die Lage bestens verdeutlicht.
Es handelt sich um das Bild jenes Kannibalenhäuptlings, der sich als Halskette einen Wecker umgehängt hat.
Ich glaube nicht, daß es noch Kannibalenhäuptlinge gibt, die sich in dieser Weise schmücken, aber jeder kann das Beispiel auf eigene Alltagserfahrungen übertragen.
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