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Über Gott und die Welt

Über Gott und die Welt

Titel: Über Gott und die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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ob es nicht an der Zeit sei, angesichts so schwerwiegender Verbrechen mit der Autorität des Staates, zur Beruhigung und zum Schutze der Bürger, auch das Recht zur Verschärfung der Höchststrafen wiederherzustellen. Und in der Tat hat ja die Todesstrafe, scheint mir, wenigstens noch eine Abschreckungswirkung, indem sie anderen Missetätern Angst einjagt, während die heutigen Gefängnisse, Orte milder Umerziehungen und leichter Ausbrüche, keine Mörderhand mehr zu schrecken vermögen.
    Eco: Ich hörte von diesen Gedankengängen. Und sie scheinen ja alle zu überzeugen. Doch vielleicht kennst du einen anderen Philosophen nicht, der uns alle sehr viel gelehrt hat, auch jene Denker, die für Wiedereinführung der Todesstrafe plädieren. Es war ein gewisser Kant, der in Erinnerung rief, daß die Menschen stets nur als Zweck und nie als Mittel benutzt werden dürften …
    Renzo: Ein edler Gedanke.
    Eco: Siehst du, und wenn ich nun Hinz töte, um dadurch Kunz zu warnen, benutze ich dann nicht Hinz als Mittel, um Kunz abzuschrecken und alle anderen vor seinen möglichen Mordgelüsten zu schützen? Und wenn es erlaubt wäre, Hinz als Botschaft für Kunz zu benutzen, warum sollte es dann nicht erlaubt sein, Samuel zur Produktion von Seife für Adolf zu benutzen?
    Renzo: Aber da ist doch ein Unterschied. Hinz hat ein Verbrechen begangen, und folglich wird ihm zu Recht eine Strafe von gleicher Art auferlegt, nicht aus Rache, sondern im Sinne der ausgleichenden Gerechtigkeit. Samuel ist unschuldig.
    Hinz ist es nicht.
    Eco: Dann meinst du jetzt aber nicht mehr, daß Hinz getötet werden müsse, um Kunz abzuschrecken, sondern nur noch, daß Hinz genauso viel Leid zugefügt werden müsse, wie er anderen zugefügt hat?
    Renzo: Beides zugleich. Ich darf Hinz als Mittel benutzen, da mir, nachdem er das Recht verwirkt hat, als Selbstzweck betrachtet zu werden, sein Tod dazu dient, andere Tode zu verhindern und allen kundzutun, daß jeder stets das erleiden muß, was er anderen angetan. Der Staat garantiert die Sicherheit seiner Bürger durch strenge Anwendung der Gesetze. Und wenn es nützlich erscheint, zur Aufrechterhaltung der Sicherheit die abstrakte, rigorose und ehrwürdige Bestrafung nach dem Talionsprinzip anzuwenden, also die Wiedervergeltung von Gleichem mit Gleichem, so sei sie willkommen, denn sie enthält ein Gran uralter Weisheit. Staatliche Wiedervergeltung ist keine Rache, sondern Geometrie.
    Eco: Ich mißachte durchaus nicht die alte Weisheit. Doch sage mir, Renzo, seit du nun eine so strenge und übermenschliche Sicht des Gesetzes hast und staatlich verordneten Tod nicht als Mord betrachtest, sondern als ausgleichende Gerechtigkeit: Angenommen, der Staat würde dich erwählen, sei es durch Los oder turnusmäßigen Wechsel, einen Mörder vom Leben zum Tod zu befördern, würdest du akzeptieren?
    Renzo: Ich könnte nicht ablehnen. Und meine Seele bliebe ruhig. Wer für die Todesstrafe eintritt, muß auch bereit sein, sie mit eigener Hand zu vollziehen, wenn die Gemeinschaft es ihm befi ehlt.
    Eco: Nun sage mir, gibt es nicht auch Verbrechen, die zwar nicht Mord sind, aber ebenso gräßlich und furchtbar? Was würdest du sagen, wenn einer, statt dein Söhnchen zu töten, sich in brutaler Weise sodomitisch an ihm verginge, so daß es für sein ganzes Leben davon gezeichnet bliebe?
    Renzo: Das wäre ein ebenso schlimmes Verbrechen, wenn nicht noch schlimmer.
    Eco: Doch müßte man so einem nicht, wollte man dem Prinzip der Vergeltung von Gleichem mit Gleichem folgen, in sodomitischer Weise Gewalt antun?
    Renzo: Nun ja, wenn du mich so fragst, gewiß.
    Eco: Und wenn der Staat dich auffordern würde, sei es durch Los oder turnusmäßigen Wechsel, dem Übeltäter in solcher Weise Gewalt anzutun, würdest du dich dazu bereit fi nden?
    Renzo: Bei Gott! Ich bin doch kein lüsterner Unhold!
    Eco: Aber du wärest ein lüsterner Mordbube?
    Renzo: Verwirre mich nicht. Ich meine, die zweite Tat würde mich mit Widerwillen und Ekel erfüllen.
    Eco: Während die erste dir Vergnügen und sadistische Freude bereiten würde?
    Renzo: Leg mir nicht Dinge in den Mund, die ich nicht gesagt habe. Ich meine, durch den Akt des Tötens würde ich mir nicht selbst einen Schaden zufügen, während mir die Ausübung eines Aktes, der mich anwidert, Ekel und Schmerz verursachen würde.
    Der Staat kann nicht verlangen, daß ich, um einen Übeltäter zu strafen, selber ein Übel erleide.
    Eco: Mit anderen Worten, du willst nicht als Mittel benutzt

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