Über Gott und die Welt
Code gibt dem Signal
»Licht im Fenster« einen bestimmten Inhalt. Und der Übergang von der »Gutenberg-Galaxis« zum »Neuen Dorf der Totalen Kommunikation« wird nicht verhindern, daß zwischen mir und meiner Geliebten und ihrem Mann das ewige Drama der Untreue und der Eifersucht ausbricht.
In diesem Sinne wird die oben skizzierte Kommunikationskette folgendermaßen präzisiert werden müssen: Das Empfangsgerät verwandelt das Signal in eine Botschaft, aber diese Botschaft ist noch eine leere Form, die der Empfänger mit verschiedenen Bedeutungen füllen kann, je nachdem, welchen Code er auf sie anwendet.
Wenn ich den Satz No more schreibe, werden die meisten ihn im Licht des Codes der englischen Sprache interpretieren und in der Weise verstehen, die ihnen als die nächstliegende erscheint.
Dieselbe Wortfolge heißt aber von einem Italiener gelesen,
»keine Brombeeren« oder auch »nein, ich ziehe Brombeeren vor«; und mehr noch, würde mein italienischer Leser statt eines botanischen ein juristisches Referenzsystem benutzen, so würde er »kein Aufschub« verstehen, und würde er gar ein erotisches Referenzsystem unterstellen, so erschiene derselbe Satz wie die Antwort »nein, Brünette« auf die Frage, ob Gentlemen wirklich Blondinen vorziehen.
In der normalen zwischenmenschlichen Kommunikation,
die sich um Fragen des Alltagslebens dreht, sind solche Mißverständnisse freilich selten, da die Codes im voraus festgelegt werden. Aber es gibt Extremfälle, vor allem den der ästhetischen Kommunikation, das heißt in der Kunst, wenn die Botschaften ganz bewußt mehrdeutig formuliert werden, gerade um den Gebrauch verschiedener Codes bei denen zu stimulieren, die an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten mit dem Kunstwerk in Berührung kommen.
Ist Mehrdeutigkeit in der Alltagskommunikation daher so gut wie ausgeschlossen und in der künstlerischen gewollt, so ist sie in der Massenkommunikation, wenn auch nicht wahrgenommen, allgegenwärtig. In der Massenkommunikation haben wir eine einzige, zentralisierte und industriell organisierte Quelle, als Kanal fungiert ein technisches Mittel, das die Form der Signale beeinfl ußt, und die Adressaten sind tendenziell die Gesamtheit (oder eine sehr große Zahl) der Menschen in allen Teilen der Welt. Amerikanische Kommunikationswissenschaftler haben sich klar gemacht, was es heißt, wenn ein Liebesfi lm in Technicolor, der für die mittelständischen Hausfrauen in den Suburbs gedacht war, in einem Dorf der Dritten Welt gezeigt wird. Doch in einem Land wie Italien, wo die TV-Botschaften von einer zentralen Quelle industriell produziert werden und im gleichen Moment sowohl in eine Industriestadt des Nordens wie in ein entlegenes Dorf des Südens gelangen, also in gesellschaftliche Situationen, die historisch durch Jahrhunderte voneinander getrennt sind, ist dieses Phänomen alltäglich.
Es genügt aber auch, sich einmal vorzustellen, was hier in den Vereinigten Staaten geschehen wäre, wenn damals, als das Magazin Eros jene berühmten Fotos brachte, auf denen man eine weiße Frau und einen farbigen Mann, beide nackt, im Kuß vereint sah, eine große TV-Gesellschaft dieselben Fotos landesweit ausgestrahlt hätte: Ich nehme an, der Gouverneur von Alabama hätte ihnen eine ganz andere Bedeutung entnommen als Allen Ginsberg. Ein kalifornischer Hippie oder ein »Radikaler« des Village hätten darin die Verheißung einer neuen Gemeinschaft gesehen, ein Mitglied des Ku-Klux-Klan das Schreckensbild übelster Vergewaltigung.
Die Welt der Massenkommunikation ist voll von solchen gegensätzlichen Interpretationen, ich würde geradezu sagen, die Interpre tationsvariabilität ist das Grundgesetz der Massenkommunikation.
Ihre Botschaften gehen von einer zentralen Quelle aus und gelangen in sehr verschiedene soziale Situationen mit sehr verschiedenen Codes. Für einen Mailänder Bankangestellten mag die Kühlschrankwerbung im Fernsehen einen Kaufanreiz darstellen, für einen arbeitslosen Landarbeiter in Kalabrien bedeutet dasselbe Bild die Anklage einer Wohlstandswelt, der er nicht angehört und die er sich erobern muß. Deshalb, meine ich, funktioniert die Fernsehwerbung in den unterentwickelt gehaltenen Ländern als revolutionäre Botschaft.
Das Problem der Massenkommunikation ist, daß diese Inte rpretationsvariabilität bisher immer nur vom Zufall gesteuert wurde. Niemand reguliert den Modus, in dem der Empfänger die Botschaft gebraucht (außer in seltenen Fällen). In
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