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Über Gott und die Welt

Über Gott und die Welt

Titel: Über Gott und die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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dieser Hinsicht haben wir – selbst wenn wir das Problem nun verlagert haben, selbst wenn wir gesagt haben »nicht das Medium ist die Botschaft«, sondern »die Botschaft ist vom Code abhängig« –
    das Hauptproblem des Kommunikationszeitalters nicht gelöst.
    Den Apokalyptikern, die da sagen: »Das Medium transportiert keine Ideologien, es ist selber Ideologie; das Fernsehen ist die Kommunikationsform, in der sich die Ideologie der fortge-schrittenen Industriegesellschaft resümiert«, könnten wir jetzt nur erwidern: »Das Medium transportiert jene Ideologien, auf die der Empfänger Bezug nimmt, indem er Codes benutzt, die sich aus der gesellschaftlichen Situation, in der er lebt, aus seiner Erziehung und aus seiner momentanen psychischen Disposition ergeben.« Das Phänomen der Massenkommunikation als solches bliebe davon unberührt. Wir müßten immer noch sagen: Es gibt ein übermächtiges Instrumentarium, das niemand von uns je wird regulieren können; es gibt Kommunikationsmittel, die im Gegensatz zu den Produktionsmitteln nicht kontrollierbar sind, weder vom privaten Willen noch von einem Kollektiv. Vor ihnen sind wir alle, vom Direktor der CBS bis zum Präsidenten der USA, von Martin Heidegger bis zum bescheidensten Niltal-Fellachen, das Proletariat.
    Und doch, glaube ich, liegt der Fehler dieses Ansatzes gerade darin, daß wir alle versuchen, diese Schlacht – die Schlacht des Menschen im technologischen Universum der Kommunikation –
    durch den Rekurs auf Strategie zu gewinnen.
    Gewöhnlich sind die Politiker, die Erzieher und die Ko mmunikationswissenschaftler der Meinung, um die Macht
    der Medien zu kontrollieren, müsse man zwei Momente der Kommunikationskette unter Kontrolle bekommen, nämlich die Quelle und den Kanal. So meint man, die Botschaft kontrollieren zu können – und statt dessen kontrolliert man allenfalls ihre leere Form, die dann der Empfänger jeweils mit den Bedeutungen füllt, die ihm seine anthropologische Situation und sein Kulturmodell suggerieren. Die strategische Lösung resümiert sich in Sätzen wie
    »Man muß den Posten des obersten Fernsehchefs okkupieren«
    oder »Man muß den Stuhl des Informationsministers besetzen«
    oder »Man muß die Position eines Pressezaren erreichen«. Ich will nicht bestreiten, daß dieser strategische Ansatz exzellente Ergebnisse zeitigen kann, wenn man politischen und wirt-schaftlichen Erfolg anstrebt, aber ich beginne zu fürchten, daß die Ergebnisse ziemlich mager ausfallen werden, wenn man den Menschen eine gewisse Freiheit gegenüber den Massenmedien wiederzugeben hofft.
    Darum werden wir auf den strategischen Ansatz künftig
    eine Guerillataktik anwenden müssen: Es kommt darauf an, überall in der Welt den ersten Platz vor jedem Fernsehapparat zu besetzen (und natürlich den Platz des Opinionleaders vor jeder Kinoleinwand, vor jedem Transistorgerät und vor jeder Zeitungsseite). Weniger zugespitzt formuliert: Die Schlacht ums Überleben des Menschen als verantwortlichem Wesen im Zeitalter der Massenkommunikation gewinnt man nicht am Ausgangspunkt dieser Kommunikation, sondern an ihrem Ziel.
    Und wenn ich dabei von einer »Guerilla« spreche, so weil uns ein paradoxes und schwieriges Los erwartet, uns Wissenschaftler und Techniker der Kommunikation. Denn gerade zu einer Zeit, da die Systeme der Massenkommunikation eine einzige Botschaft voraussetzen, die ausgehend von einer einzigen industrialisierten Quelle ein über die ganze Welt verstreutes Publikum erreicht, müssen wir fähig sein, Systeme einer ergänzenden Kommunikation zu ersinnen: einer Kommunikation, die uns erlaubt, jede einzelne Menschengruppe, jedes einzelne Mitglied dieses weltweiten Publikums zu erreichen, um mit ihm über die Botschaft im Augenblick ihrer Ankunft zu diskutieren, im Licht einer Konfrontation der Empfängercodes mit denen des Senders.
    Eine politische Partei, die fähig wäre, sämtliche Gruppen und Grüppchen und Individuen vor den Fernsehern zu erreichen, um mit ihnen die Botschaften zu diskutieren, die sie empfangen, könnte den Inhalt verändern, den die Quelle diesen Botschaften zugedacht hatte. Eine erzieherische Organisation, der es gelänge, ein bestimmtes Publikum zu veranlassen, über die empfangene Botschaft zu diskutieren, könnte die Bedeutung dieser Botschaft umdrehen. Oder jedenfalls zeigen, daß sich die Botschaft sehr verschieden interpretieren läßt.
    Wohlgemerkt: Ich propagiere hier keineswegs eine neue und noch viel schlimmere Form

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