Über Gott und die Welt
von Kontrolle der öffentlichen Meinung. Ich propagiere ein Handeln, das die Adressaten der Medien dazu bewegt, die Botschaft und ihre vielfachen Interpre tationsmöglichkeiten zu kontrollieren.
Der Gedanke, daß von den Wissenschaftlern und den
Erziehern künftig verlangt werden muß, die Fernsehstudios und Zeitungsredaktionen zu verlassen, um eine Guerilla von Haus zu Haus zu führen wie die Provos der Kritischen Rezeption, mag erschrecken und als pure Utopie erscheinen. Aber wenn sich unser Kommunikationszeitalter in der Richtung weiterbe-wegt, die wir heute als die wahrscheinlichste sehen, wird dies die einzige Rettung für freie Menschen sein. In welchen konkreten Formen diese Guerilla geführt werden kann, wäre zu untersuchen.
Vermutlich wird man in der Wechselbeziehung zwischen den verschiedenen Medien das eine Medium zur Kommunikation von Urteilen über das andere benutzen können. Wie es ansatzweise zum Beispiel eine Zeitung tut, wenn sie eine TV-Sendung kritisiert. Aber wer sagt uns, daß der Zeitungsartikel gelesen wird?
Und wenn, ob in der von uns gewünschten Weise? Müssen wir noch auf ein anderes Medium zurückgreifen, um die Zeitung bewußt und kritisch lesen zu lehren?
Gewisse Formen von »Massendissens« (Hippies oder Beatniks,
»New Bohemia« oder Studentenbewegungen) erscheinen uns heute als negative Antworten auf die Industriegesellschaft: als Absagen an die Gesellschaft der Technologischen Kommunikation, um nach alternativen Formen von Gemeinschaftsleben zu suchen.
Doch natürlich realisieren sich diese Formen nur, indem sie die gegebenen Mittel der technologischen Industriegesellschaft verwenden (Fernsehen, Presse, Diskos …), und so kommen sie nicht aus dem Zirkel heraus oder gliedern sich ungewollt wieder ein. Revolutionen verenden oft in noch pittoreskeren Formen von Integration.
Es könnte indessen sein, daß sich aus diesen neuen nichtin-dustriellen Kommunikationsformen (von den Love-ins bis zu den Sit-in-Meetings der Studenten auf dem Campus-Rasen) die Formen einer künftigen Kommunikations-Guerilla entwickeln. Eine komplementäre Manifestation, eher ergänzend als alternativ zu den Manifestationen der Technologischen Kommunikation, eine permanente Korrektur der Perspektiven, eine laufende Überprüfung der Codes, eine ständig erneuerte Interpretation der Massenbotschaften. Die Welt der Technologischen Kommunikation würde dann sozusagen von Kommunikationsguerilleros durchzogen, die eine kritische Dimension in das passive Rezeptionsverhalten einbrächten. Aus der Drohung vom Medium als der Botschaft könnte, angesichts der Medien und ihrer Botschaften, eine Rückkehr zur individuellen Verantwortlichkeit hervorgehen. Gegenüber der anonymen Gottheit der Technologischen Kommunikation könnte unsere Antwort lauten: »Nicht Dein, sondern unser Wille geschehe.«
(1967)
Die Multiplizierung der Medien
Vor einem Monat bot uns das Fernsehen die Gelegenheit, einen Klassiker wiederzusehen, an den wir uns mit Bewunderung und liebevollem Respekt erinnerten: Stanley Kubricks Odyssee 2001.
Ich habe hinterher viele Freunde befragt, und alle sagten dasselbe: Sie waren enttäuscht.
Dieser Film, der uns seinerzeit so beeindruckt hatte durch seine damals (und das ist noch gar nicht so lange her) unerhört neuen Bilder und technischen Tricks und durch seinen metaphysischen Atem, schien uns jetzt nur noch fade zu wiederholen, was wir schon zigmal gesehen hatten. Gewiß, das Drama vom parano-iden Computer hat noch eine gewisse Spannung, auch wenn es nicht mehr verblüffend erscheint, der Anfang mit den Affen ist noch immer ein schönes Stück Kino, aber diese nicht-aerody-namischen Raumschiffe fi nden sich längst in der Spielzeugkiste unserer inzwischen herangewachsenen Kinder, aus Plastik (die Raumschiffe meine ich, nicht die Kinder), die Schlußvisionen sind Kitsch (pseudophilosophische Allegorien, in die jeder hineinle-gen kann, was ihm gerade paßt), und der Rest ist Diskographie, Musik und Cover.
Dabei erschien Kubrick uns damals wirklich als ein genialer Neuerer. Aber das ist es eben: Die Massenmedien sind genealogisch und haben keine Erinnerung, obwohl diese beiden Eigenschaften eigentlich unvereinbar sein müßten. Sie sind genealogisch, weil jede neue Erfi ndung in ihnen eine Kette von Imitationen erzeugt, eine Art gemeinsame Sprache. Und sie haben keine Erinnerung, weil am Ende der Kette niemand mehr weiß, wer begonnen hatte, so daß der Stammvater leicht mit dem letzten Enkel
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