Über Gott und die Welt
bloß von einem öffentlichen Apparat aus anzurufen. Und wenn er bei der angeru-fenen Nummer kontrolliert? Na ja, dann schon, sagt der Student, und tatsächlich hätte er selber mal einen komischen Anruf von weither bekommen, aber das sei wohl ein Scherz gewesen (was sogar stimmen kann, viele wählen einfach aus Jux irgendeine Nummer). Es gehe ihm nicht um den persönlichen Vorteil, er-klärt er mir, er mache das nicht aus Eigennutz. Es gehe darum, den Multis eins auszuwischen, die Pinochet unterstützten und alle Faschisten seien.
Die Tausende von Studenten, die solche Spielchen treiben, sind nicht das einzige Beispiel für »elektronischen Dissens«. Joseph La Palombara erzählte mir, vor zwei Jahren habe eine subversive Gruppe in Kalifornien die Bürger dazu aufgefordert, ihre Telefonrechnung immer brav zu bezahlen, aber jedesmal einen Cent hinzuzufügen. Niemand kann inkriminiert werden, wenn er bezahlt und sogar noch was draufl egt. Aber wenn es viele machen, gerät das ganze Verwaltungssystem der Telefongesellschaft ins Stocken. Die Computer bleiben bei jeder irregulären Zahlung stehen, registrieren die Differenz, schicken jedem einzelnen Kunden einen Brief und überweisen ihm einen Cent. Wenn die Operation in großem Stil und massenhaft durchgeführt wird, blockiert sie alles. Tatsächlich hatte die Telefongesellschaft ein paar Monate Schwierigkeiten und mußte schließlich durch Appelle im Fernsehen ihre Kunden bitten, den Scherz zu lassen. Die großen Systeme sind äußerst verwundbar, es genügt ein Sandkorn, um sie
»in Paranoia« zu versetzen. Genau besehen funktioniert auch die ganze Luftpiraterie nach diesem Prinzip: Eine Trambahn könnte man schwerlich entführen, aber ein Jumbo ist wie ein Kind. Um einen Buchhalter zu korrumpieren, braucht man Zeit und Geld und womöglich schöne Frauen; einen Computer bringt man viel leichter durcheinander, man braucht ihm bloß, womöglich per Telefon, eine »verrückte« Information einzugeben.
So kommt es im Zeitalter der elektronischen Information allmählich zur Ausbreitung einer neuen Form von nicht gewaltsamer (jedenfalls unblutiger) Guerilla: zur Guerilla der Fälschung.
Kürzlich las man bei uns in der Zeitung, wie leicht es ist, mit einem Farbfotokopiergerät Eisenbahnkarten zu fälschen, oder wie man das Ampelsystem einer ganzen Stadt lähmen kann. Manche stiften Verwirrung, indem sie Dutzende von Kopien eines Briefes in Umlauf zu bringen, dessen Unterschrift von einem anderen Brief abkopiert worden ist.
Der beherrschende Grundgedanke in diesen Fälschungsformen entsteht aus den neuen kritischen Theorien der Macht. Die Macht hat ihren Ursprung nie allein in einer Willkürentscheidung an der Spitze, sondern nährt sich an zahllosen Formen von mikroskopi-schem oder »molekularem« Konsens an der Basis. Tausende von Vätern, Müttern und Kindern müssen sich mit der Familienstruktur identifi zieren, damit eine Macht sich auf die Ethik der Institution Familie stützen kann; zahllose Einzelpersonen müssen eine Rolle als Arzt, als Pfl eger, als Aufseher fi nden, damit eine Macht sich auf die Idee der Absonderung der »Andersartigen« stützen kann.14
Nur die Roten Brigaden und ihre Genossen, letzte unheilbare Romantiker gut katholisch-papistischer Provenienz, glauben noch, daß der Staat ein Herz habe und man dieses Herz treffen könne – und scheitern, da ein, zehn, hundert entführte Moros das System nicht schwächen, sondern im Gegenteil den Konsens um das symbolische Trugbild seines angegriffenen und verletzten
»Herzens« rekonsolidieren.
Die neuen Formen von subversiver Guerilla zielen dagegen auf eine Schwächung des Systems durch Zersetzung jenes fein-maschigen Konsensgewebes, das auf einigen Grundregeln des Gemeinschaftslebens beruht. Wenn dieses Gewebe zerreißt, so ihre strategische Hypothese, bricht alles zusammen.
Vor etwa zehn Jahren erregten bereits zwei Fälle von literarischer Fälschung einiges Aufsehen: Zuerst schickte jemand dem Avanti! ein falsches Gedicht von Pasolini, dann schickte jemand dem Corriere della sera einen falschen Artikel von Cassola. Beide wurden gedruckt und verursachten einen Skandal. Der Skandal ließ sich eindämmen, da beide Fälle noch Ausnahmen waren.
Wenn sie eines Tages zur Regel würden, könnte keine Zeitung mehr einen Artikel bringen, der nicht vom Autor höchstpersönlich dem Chefredakteur überreicht worden ist. Das gesamte Fernschreibsystem geriete ins Wanken.
Inzwischen ist schon einiges in
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