Über Gott und die Welt
dieser Richtung zusammen-gekommen: politische Manifeste, die eine Gruppe X unter dem Namen einer Gruppe Y verbreitet, ein falscher Briefwechsel von Berlinguer in einer falschen Einaudi-Ausgabe, ein falscher Text von Sartre. Wir merken es noch, weil die Fälschungen primitiv sind, ungeschickt oder allzu paradox. Aber was, wenn sie besser gemacht würden und in schnellerem Rhythmus kämen? Man
könnte auf die Fälschungen nur mit anderen Fälschungen rea-gieren, indem man falsche Nachrichten über alles verbreitet, auch über die Fälschungen – und wer weiß, ob der vorliegende Artikel nicht schon das erste Beispiel dieser neuen Tendenz ist. Aber genau dieser Verdacht zeigt, welches selbstmörderische Potential in den Fälschungstechniken steckt.
Jede Macht beruht auf einem Netz von mikroskopisch feinem Konsens. Aber man muß unterscheiden zwischen jenen Konsensformen, die den Aufbau makroskopischer Kontrollsysteme erlauben, und jenen Konsensformen, die einen gleichsam biologischen Rhythmus befriedigen und weit diesseits der Konstitution von Machtverhältnissen im unmittelbaren Sinne liegen.
Zwei Beispiele. Ein moderner Staat bringt die überwiegende Mehrheit seiner Bürger nicht durch Anwendung äußeren Zwanges dazu, ihm Steuern zu zahlen, sondern durch inneren Konsens. Der Konsens entsteht, wenn und solange die Mitglieder einer Gruppe die Idee akzeptieren, daß gewisse kollektive Ausgaben (zum Beispiel: Wer bezahlt die Brötchen für den Sonntagsausfl ug?) kollektiv umgelegt werden (jeder zahlt einen Pro-Kopf-Anteil in die Ausfl ugskasse). Angenommen, dieser habituelle Gruppenkonsens wird in Frage gestellt: Die Brötchen muß derjenige bezahlen, dem der Ausfl ug am meisten nützt, oder der das meiste Geld hat? Wenn der grundlegende Mikrokonsens zerstört wird, tritt auch die Ideologie in die Krise, auf der das Steuersystem beruht.
Nun das zweite Beispiel. Nehmen wir eine Gruppe, die durch irgendwelche Interessen zusammengehalten wird. In dieser Gruppe gilt wie in jeder Gruppe die Übereinkunft, daß eine Mitteilung, die einer macht, eine wahre Mitteilung sein muß.
Wer einmal lügt, wird getadelt (er hat die anderen getäuscht).
Wer gewohnheitsmäßig lügt, wird als unglaubwürdig angesehen und verliert das Vertrauen der Gruppe. Im Grenzfall rächt sich die Gruppe und belügt ihn. Aber nehmen wir an, daß die Gewohnheit, den Minimalkonsens der Ehrlichkeit zu mißachten, sich in der Gruppe allmählich verbreitet, so daß schließlich jeder den anderen belügt. Die Gruppe zerfällt, es beginnt ein Krieg aller gegen alle.
An diesem Punkt sind keine Machtverhältnisse zerstört worden.
Was zerstört worden ist, sind die Überlebensbedingungen der Gruppe. Jeder wird abwechselnd Unterdrücker und Opfer. Es sei denn, daß die Macht sich nach einer Weile zugunsten einzelner rekonstituiert – und zwar zugunsten dessen oder derer, die sich zusammentun, um eine effektivere Technik auszuarbeiten und die anderen besser zu belügen, geschickter und schneller, so daß sie binnen kurzem die neuen Bosse der Gruppe werden. In einer Welt voller Fälscher wird nicht die Macht zerstört, sondern höchstens ein Machthaber durch einen anderen ersetzt.
In simplen Worten, eine politische Gruppe, die imstande ist, falsche Presseerklärungen unter dem Namen des Fiat-Konzerns zu verbreiten, gewinnt einen Vorteil über Fiat und bringt seine Macht in die Krise. Aber nur solange, bis Fiat einen noch ge-schickteren Fälscher einstellt, der falsche Presseerklärungen unter dem Namen der Fälschergruppe verbreitet. Wer immer auch diesen Kampf gewinnt, in jedem Fall wird er der neue Padrone sein.
Die Wahrheit ist jedoch sehr viel prosaischer. Gewisse Konsensformen sind für das Zusammenleben so essentiell, daß sie sich gegen jeden Angriff behaupten. Sie verhärten sich höchstens und werden fanatisch. In einer Gruppe, in der sich die Technik der zersetzenden Fälschung verbreiten würde, käme es bald zur Wiederherstellung einer geradezu puritanischen Wahrheitsethik, die Mehrheit würde (um die biologischen Grundlagen des Konsens zu verteidigen) zu Wahrheitsfanatikern, die den Lügnern am liebsten die Zunge abschnitten. Die Utopie der befreienden Zersetzung würde die Realität der Reaktion erzeugen.
Schließlich: Hat es Sinn, sich vorzunehmen, das feinmaschige Netz der Mikromächte zu zersetzen (wohlgemerkt: nicht durch Kritik seiner Voraussetzungen in die Krise zu treiben, sondern zu zersetzen, indem man es durch permanente Schläge
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