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Über Gott und die Welt

Über Gott und die Welt

Titel: Über Gott und die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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unbrauchbar macht), wenn man davon ausgeht, daß es keine Zentralmacht gibt und daß die Mächte sich über die Fäden eines hauchdünnen weit-gespannten Spinnengewebes verbreiten? Wenn dieses Gewebe existiert, ist es wie jedes Gewebe auch fähig, seine lokalen Risse und Wunden rasch verheilen zu lassen, eben weil es kein Herz oder Zentrum hat, sondern gleichsam ein Körper ohne Organe ist. Geben wir auch dafür ein Beispiel.
    Der Siegeszug der Fotokopierer bringt das Verlagswesen in die Krise. Jeder vermeidet den Kauf eines teuren Buches, wenn er es in Fotokopien billiger haben kann. Die Praxis hat sich indessen längst eingebürgert. Nehmen wir an, ein Buch von 200 Seiten kostet 20 Mark. Wenn ich es in einem Papiergeschäft fotokopie-re, wo die Kopie, sagen wir, 20 Pfennige kostet, habe ich keinen Vorteil. Wenn ich mich aber mit anderen zusammentue und das Buch hundertmal kopiere, reduziert sich der Preis um die Hälfte, und schon wird die Sache rentabel. Wenn es ein wissenschaftliches Buch ist, kostet es bei gleicher Seitenzahl 40 Mark, und ich zahle nur noch ein Viertel des Preises. Tausende von Studenten verschaffen sich heutzutage so ihre teuren Bücher. Eine quasilegale Form von »Wiederaneignung«. Oder Enteignung.
    Aber die großen holländischen und deutschen Verlage, die wissenschaftliche Bücher auf englisch drucken, haben sich auf diese Lage schon eingestellt. Ein Buch von 200 Seiten kostet bei ihnen 100 Mark. Sie wissen genau, daß sie es nur an Bibliotheken und Forschungsgruppen verkaufen werden, der Rest ist Xerox. Sie werden nur 3000 Exemplare verkaufen. Aber 3000 Exemplare zu 100 Mark ergeben denselben Umsatz wie 30.000 Exemplare zu 10 Mark (nur daß die Herstellungs- und Vertriebskosten niedriger sind). Außerdem zahlen sie sicherheitshalber den Autoren kein Honorar, da es sich ja, wie sie sagen, um wissenschaftliche Werke handelt, die nur an gemeinnützige öffentliche Institutionen gehen.
    Das Beispiel taugt, was es taugt, und es gilt nur für unverzichtbare wissenschaftliche Werke. Aber es zeigt, daß die Fähigkeit großer Systeme, ihre Wunden rasch verheilen zu lassen, beträchtlich ist. Und daß große Systeme und subversive Gruppen oft Zwillingsbrüder sind, ja sich gegenseitig hervorbringen.
    Mit anderen Worten, wenn der Angriff auf das vermeintliche »Herz« des Systems (im Vertrauen auf die Existenz einer Zentralmacht) zum Scheitern verurteilt ist, bringt auch der periphere Angriff auf Systeme, die weder Zentrum noch Peripherie haben, keinerlei Revolution hervor. Er sichert höchstens das Überleben der am Spiel beteiligten Kräfte. Die großen Verlage sind bereit, die Ausbreitung der Fotokopierer hinzunehmen, so wie die multinationalen Konzerne das Telefonieren auf ihre Kosten verschmerzen können, oder wie ein gutes Verkehrsunternehmen einen gewissen Prozentsatz von Schwarzfahrern oder Benutzern gefälschter Fahrkarten mühelos akzeptieren kann – vorausgesetzt, daß die Fälscher sich mit ihrem unmittelbaren Ertrag begnügen. Das Ganze ist eine subtilere Form von »historischem Kompromiß«, nur ist er nicht politisch, sondern technologisch.
    Es ist die neue Form, die der Contrat Social im gleichen Maße anzunehmen beginnt, wie sich die Utopie der Revolution in ein Projekt permanenter lokaler Störaktionen verwandelt.
    (1978)
    Die Modi der kulturellen Moden

    Les femmes nulles suivent la mode,
    les
    prétentieuses
    l’exagèrent,
    mais
    les

    femmes de goût pactisent agréablement
    avec
    elle.
    Marquise
    du
    Châtelet
    Das Nationalspiel der gebildeten Italiener besteht aus drei Zügen, die Doktor Weiß gegen Doktor Schwarz spielt (genaue-re Angaben zur Dynamik der »Spiele« fi nden sich in Eric Berne, Spiele der Erwachsenen – man wird gleich verstehen, warum ich mich so beeile, eine Inspirationsquelle zu zitieren: ich liefe sonst Gefahr, dem zweiten Zug des Lesers Weiß als Autor Schwarz zu erliegen).
    Erster Zug:
    Schwarz: »Leute wie diese da müßte man umbringen!«
    Weiss: »Der übliche italienische Provinzialismus. In England weiß man seit über zehn Jahren, daß Töten nichts hilft. Lesen Sie nur mal … «
    Zweiter Zug:
    Schwarz: »Ich hab’s mir überlegt. Ich glaube, man sollte nie einen Menschen töten.«
    Weiss: »Scheint mir keine sehr originelle Idee. Hat schon Gandhi gesagt.«
    Dritter Zug:
    Schwarz: »Na gut, ich fi nde, Gandhi hatte recht.«
    Weiss: »Klar, natürlich, wir haben ja jetzt die Mode des Pazifi smus!«
    Die Formel ist endlos variierbar. Zum

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