Über Gott und die Welt
Schönheit willen getragen, aber in erster Linie sind sie praktisch. Seit einigen Jahren hatte ich allerdings leider auf sie verzichten müssen, weil ich zu füllig geworden war. Gewiß, wenn man richtig sucht, fi ndet man sie auch in Sondergrößen (bei Macy’s in New York gibt es sogar welche für Oliver Hardy), aber die sind nicht nur in der Taille, sondern auch an den Beinen extra large; man kann sie schon tragen, aber es ist kein schöner Anblick.
Neuerdings, nach Reduzierung der Alkoholika, habe ich nun die nötige Kilozahl abgespeckt, um es wieder mit fast normalen Jeans zu versuchen. Ich habe den Leidensweg durchgemacht, den Goldoni beschreibt (mit der Verkäuferin, die mich ermunterte:
»Drücken Sie, drücken Sie nur, Sie werden sehen, die passen dann schon«), und bin losgezogen, ohne den Bauch einziehen zu müssen (zu solchen Kompromissen lasse ich mich nicht herab). Immerhin hatte ich nun nach langer Zeit wieder das schöne Gefühl, eine Hose zu tragen, die sich, statt die Taille einzuschnüren, an die Hüften schmiegt – denn es ist das Proprium der Blue Jeans, daß sie die lumbal-sakrale Region unter Druck setzen und sich nicht durch Suspension, sondern durch Adhäsion halten.
Das Gefühl war mir, nach der langen Zeit, neu. Nicht daß sie schmerzten, aber sie waren zu spüren. So elastisch sie waren, ich spürte um meinen Unterleib eine Art Rüstung. Ich konnte den Bauch nicht in der Hose bewegen, sondern nur mit der Hose. Ein Umstand, der den eigenen Körper sozusagen in zwei voneinander unabhängige Hälften teilt, eine von der Gürtellinie aufwärts, befreit von der Kleidung, und die andere, vom Gürtel abwärts bis zu den Knöcheln, organisch mit der Kleidung verwachsen. Ich entdeckte, daß meine Bewegungen, die Art, wie ich ging, mich drehte, mich setzte, den Schritt beschleunigte, anders geworden waren. Nicht schwieriger oder leichter, aber entschieden anders.
Infolgedessen lebte ich nun im Bewußtsein, Jeans anzuhaben (während man ja gewöhnlich lebt, ohne dauernd daran zu denken, daß man Hosen anhat). Ich lebte für meine Jeans und benahm mich infolgedessen wie einer, der Jeans anhat. Will sagen, ich nahm eine Haltung an. Seltsam, daß es ausgerechnet das traditionell zwangloseste und antikonformistischste Kleidungsstück war, das mir eine Förmlichkeit aufzwang, ein Benehmen.
Normalerweise benehme ich mich recht ungehobelt, setze mich hin, wie’s gerade kommt, lasse mich fallen, wo’s mir gefällt, und vergesse mich, ohne auf Eleganz zu achten. Die Jeans zwangen mich zur Kontrolle meiner Bewegungen, machten mich zivilisier-ter und reifer. Ich habe lange darüber nachgedacht, besonders im Gespräch mit Partnerinnen vom andern Geschlecht. Von denen ich schließlich erfuhr, was ich im übrigen schon vermutet hatte, daß Erfahrungen dieser Art für die Frauen alltäglich sind, da ihre Kleidung seit jeher und immer schon darauf zugeschnitten war, eine Haltung zu verleihen: Stöckelschuhe, Reifröcke, Büstenhalter aus Fischbein, Hüftgürtel, enggeschnürte Korsetts usw.
So begann ich darüber nachzudenken, welchen Einfl uß die Kleidung als Rüstung im Verlauf der Zivilisationsgeschichte auf die Haltung und damit auf die äußere Moral gehabt hat. Der viktorianische Bourgeois war steif und pedantisch wegen des steifen Stehkragens, der klassische Gentleman war in seiner Strenge determiniert durch enganliegende Redingotes und Stiefeletten und Zylinder, die keine raschen Kopfbewegungen erlaubten. Wenn das Wien der Jahrhundertwende am Äquator gelegen hätte und seine Bürger in Bermudas gegangen wären, hätte dann Freud dieselben Neurosensymptome beschreiben können? Und dieselben Ödipus-Dreiecke? Und hätte er sie in derselben Weise beschrieben, wenn er, der Doktor, ein Schotte im Kilt gewesen wäre (unter welchem man bekanntlich nicht mal einen Slip zu tragen pfl egt)?
Ein Kleidungsstück, das einem die Hoden einzwängt, läßt einen anders denken. Die Frauen, wenn sie ihre Regel haben, die Kranken, die an Hämorrhoiden, Orchitis, Urethritis, Prostatitis und dergleichen leiden, kennen den Einfl uß, den Kompressionen oder Interferenzen an der Lendenregion auf die Stimmungslage und die geistige Regsamkeit haben. Aber dasselbe gilt (vielleicht in geringerem Maße) auch für den Hals, den Rücken, den Kopf, die Füße. Eine Menschheit, die in Schuhen herumzulaufen gelernt hat, hat ihr Denken anders orientiert, als sie es getan hätte, wenn sie barfuß geblieben wäre. Traurig zu denken,
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