Über Gott und die Welt
besonders für Philosophen der idealistischen Richtung, daß der Geist seinen Ursprung in solchen Konditionierungen haben soll, aber damit noch nicht genug, das Schöne ist, daß auch Hegel dies wußte, weshalb er die von der Schädelwissenschaft identifi zierten Schädelknochen studierte, und das in einem Buch mit dem Titel Phänomenologie des Geistes.
Doch das Problem meiner Jeans hat mich noch zu anderen Beobachtungen getrieben. Die Kleidung zwang mich nicht nur zu einer Haltung, sondern die Konzentration meiner Aufmerksamkeit auf diese Haltung zwang mich auch zu einer außengerichteten Lebensweise. Mit anderen Worten, sie reduzierte mein Innenleben. Für Leute in meinem Beruf ist es normal, beim Gehen an etwas anderes zu denken, an den nächsten Artikel, die nächste Vorlesung, die Beziehungen zwischen dem Einen und den Vielen, die derzeitige Regierung, das Problem der Erlösung und wie man es fassen soll, die Frage, ob es ein Leben auf dem Mars gibt, den letzten Schlager von Celentano und das Paradox von Epimenides. Das ist es, was man in unserer Branche inneres Leben nennt. Mit den neuen Jeans am Leibe war nun mein Leben ganz äußerlich: Ich dachte jetzt immerzu an das Verhältnis zwischen mir und den Hosen und an das Verhältnis zwischen den Hosen und der Gesellschaft ringsum. Ich hatte ein Hetero-Bewußtsein realisiert, beziehungsweise ein epidermisches Selbstbewußtsein.
An diesem Punkt wurde mir klar, daß die Denker seit dem Mittelalter dafür gekämpft hatten, sich von der Rüstung zu befreien. Die Krieger lebten ganz in der Äußerlichkeit, rundum ein-gepackt in Kettenhemden und Panzer. Die Mönche indes hatten ein Gewand erfunden, das die Erfordernisse der äußeren Haltung von sich aus erfüllte (majestätisch, fl ießend, aus einem Stück und daher fähig zu statuarischem Faltenwurf ), während es den Körper (darinnen, darunter) vollkommen frei und sich selbst überließ.
Die Mönche hatten ein reiches Innenleben und waren dreckig wie Schweine. Denn ihr Körper, im Schutze eines Gewandes, das ihn zugleich adelte und befreite, konnte ungestört denken und sich dabei selber völlig vergessen. Ein Ideal nicht allein für den Klerus, man denke nur an die schönen weiten Gewänder, die ein Erasmus trug. Und wo auch der Intellektuelle sich in weltliche Rüstungen zwängen muß (in Kniehosen, Fräcke, Puderperücken), sehen wir ihn, sobald er sich zum Denken zurückzieht, schlau in prächtigen Schlafröcken wandeln oder in weiten chemises drolati-ques wie Balzac. Das Denken verabscheut das Kettenhemd.
Doch wenn es die Rüstung ist, die ein Leben in Äußerlichkeit erzwingt, dann beruht die jahrtausendalte Unterwerfung der Frau auch auf der Tatsache, daß der Frau seit jeher Rüstungen auferlegt worden sind, die sie dazu trieben, die Übung des Denkens zu vernachlässigen. Die Frau ist nicht nur darum von der Mode versklavt worden, weil diese sie durch den Zwang, attraktiv zu sein, eine ätherische Haltung voller Anmut und erregendem Reiz zu wahren, zum Sexualobjekt gemacht hat, sondern sie ist vor allem darum versklavt worden, weil die Kleidermaschinen, die ihr aufgeschwatzt wurden, sie psychologisch zwangen, für die Äußerlichkeit zu leben. Was uns dazu bringt, einmal zu überlegen, wie hochbegabt und heroisch ein Mädchen gewesen sein muß, um in solcher Kleidung eine Madame de Sevigné, Vittoria Colonna, Madame Curie oder Rosa Luxemburg zu werden.
Die Überlegung hat einigen Wert, denn sie bringt uns auf die Entdeckung, daß die Jeans, die den Frauen heute von der Mode aufgedrängt werden, scheinbar Symbol der Befreiung und der Gleichstellung mit den Männern, in Wirklichkeit eine weitere Falle der Herrschaft sind; denn sie befreien den Körper nicht, sondern unterwerfen ihn nur einer anderen Etikette und zwängen ihn in andere Rüstungen, die nicht als solche erscheinen, weil sie scheinbar nicht »weiblich« sind.
Abschließende Überlegung: Kleider sind, da sie eine äu-
ßere Haltung erzwingen, semiotische Mechanismen oder
Kommunikationsmaschinen. Das wußte man zwar bereits, aber man hatte noch nicht versucht, den Vergleich mit den syntaktischen Strukturen der Sprache zu ziehen, die, wie ja von vielen behauptet wird, die Artikulationsweise des Denkens beeinfl ussen.
Auch die syntaktischen Strukturen der Kleidersprache beeinfl ussen die Betrachtungsweise der Welt, und zwar sehr viel physischer als die Consecutio temporum oder der Konjunktiv. Woran wieder einmal zu sehen ist, durch wie
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