Ueber Gott und die Welt
Auseinandersetzung mit dem Gottesgedanken. Wenn es nun dabei zu einem negativen Ergebnis kommt, wird allerdings der Wahrheitsbegriff auch obsolet. Das hat Nietzsche klar gesehen.
Nehmen wir ein Beispiel: Bewohner irgendeines fernen Sterns stellen Mutmaßungen an, ob es auf diesem Planeten Erde Leben gibt und vernünftige Wesen. Unter ihnen gibt es zwei Positionen. Die eine Partei sagt: »Ja, beides gibt es auf dem Planeten Erde.« Die andere verneint das. Keine der beiden Parteien kann ihre Vermutung beweisen.
Trotzdem ist die erste Behauptung wahr und die entgegengesetzte falsch. Denn wir wissen, dass es uns gibt, und das genügt. Die Bewohner des fernen Sterns aber werden es nie erfahren, welche Partei recht hat.
Heißt das, der Gottesgedanke muss nicht unbedingt vorausgesetzt werden?
Als bloßer Gedanke, als unsterbliches Gerücht, ist er immer schon da, wo Menschen anfangen, ernsthaft über die Welt nachzudenken. Aber zur reflektierten Überzeugung von Gottes Existenz entwickelt sich dieser Gedanke erst allmählich.
Die Idee Gottes ist ein »Abschlussgedanke«. Das gilt auch mit Bezug auf unsere sittlichen Überzeugungen. Die Erfahrung des Gewissensurteils, die Sollenserfahrung, setzt nicht den Glauben an Gott voraus. Es ist eine unmittelbare Erfahrung. Aber diese Erfahrung kann, in die Salzsäure der Reflexion getaucht, sich zersetzen. Wo sie gezwungen ist, ihre Unbedingtheit zu behaupten, da kann sie dies schlüssig nur mit Hilfe der Idee eines Gebotes Gottes tun. Will Gott etwas, weil es gut ist, oder ist etwas gut, weil Gott es will? Wittgenstein nannte die zweite Antwort die »tiefere«.
»Wenn Gott nicht existiert, ist alles erlaubt«, schreibt Dostojewski angesichts des Nihilismus der russischen Intelligentsijades ausgehenden 19. Jahrhunderts. Die »Stimme des Gewissens« kann sich dann nur behaupten, wenn sie sich als Echo der Stimme Gottes versteht, was übrigens die Möglichkeit eines Gewissensirrtums einschließt. Die Tatsache, dass menschliche Urteile irren können, ist kein Argument gegen die Wahrheitsfähigkeit der Vernunft.
Also: Gottesglaube ist weder Bedingung für wahre Urteile noch für Gewissensüberzeugungen. Aber da die Existenz Gottes der ontologische Grund beider und in ihnen impliziert ist, beseitigt die Leugnung Gottes die Grundlage aller Wahrheitsansprüche und aller sittlichen Überzeugungen und damit tendenziell diese Ansprüche selbst. Die Sollenserfahrung kann zunächst etwas Unmittelbares sein, so wie eine sinnliche Wahrnehmung. Aber dem Nachdenken ergibt sich, dass es kein Sollen geben kann, das nicht in einem ursprünglichen Wollen gründet.
Aber sind metaphysische Überzeugungen beweisbar?
Nicht beweisbar, aber begründbar, so wie das Widerspruchsprinzip, das nicht beweisbar ist, weil jeder Beweis es voraussetzt. Aber eben deshalb ist es wohl begründet. Unsere Alltagsgewissheiten hören nicht dadurch auf, Gewissheiten zu sein, dass sie uns gelegentlich täuschen.
John Henry Newman gibt hierfür ein Beispiel: Ich gehe in der Abenddämmerung auf einen Wald zu und sehe in der Ferne am Waldrand einen Freund. Ich nähere mich dem Waldrand und sehe: Ach, das ist ja gar nicht mein Freund, sondern ein eigentümlich gewachsener Baum. Ich gehe weiter und erkenne schließlich: Es ist doch mein Freund. Jedes Mal bin ich mir gewiss. Beim dritten Hinsehen hätte ich mir sagen können, ich habe mich zweimal getäuscht, jetzt glaube ich es nicht mehr. Doch ich glaube es auch beim dritten Mal, und zwar zu Recht. Diesmal ist es wirklich mein Freund, denich sehe. Aber dafür gibt es kein Kriterium. Dass alles nur Traum sei, ist eine These, die sich selbst aufhebt. Wenn alles nur geträumt wäre, wäre es auch geträumt, dass ich träume, dass ich träume … etc.
Leibniz dachte die Monaden als lauter Subjekte mit ihren jeweiligen Weltbildern. Er konnte diesen Gedanken nur denken, weil er einen göttlichen Koordinator all dieser Welten dachte. – Whiteheads Nähe zu Leibniz ist unverkennbar. Aber für unser Gespräch mag es genügen. Es gibt – bis jetzt – noch kein nachmetaphysisches Zeitalter.
Wenn es das einst geben sollte, dann hieße das, es wird einen nachmenschlichen Menschen geben. Aber ist es das, was wir wollen? Die Metaphysik basiert letzten Endes auf einem Grundvertrauen in die Wirklichkeit des Wirklichen.
Findet das Grundvertrauen im Wachzustand nicht eine größere Bestätigung als im Traum? Wird Wirklichkeit nicht mit Wachsein assoziiert?
Doch. Aber auch das
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