Ueber Gott und die Welt
nicht vergessen, der Personalismus eines Emmanuel Mounier, Gabriel Marcel und anderer war eine Selbstbezeichnung und kein abwertender Begriff, den seine Kritiker erfunden haben. Der »Personalismus« will ja eine ganze Richtung der Philosophie charakterisieren. Das gilt für mich nicht.
In meinem Aufsatz »Die Bedeutung der Worte ›ist‹, ›existiert‹ und ›es gibt‹« spielt der Personenbegriff zwar eine Rolle, aber er dient nicht als Universalschlüssel, um meine Philosophieim Ganzen zu erschließen. Es heißt übrigens einen Gedanken töten, wenn man ihn einem »-ismus« erfolgreich zuordnen kann.
Ihnen kommt es darauf an, Person und Natur aufeinander zu beziehen.
Ja, in dem Buch konvergieren meine ethischen und naturphilosophischen Überlegungen. Aus dem Personencharakter des Menschen folgt eine Verpflichtung für den Umgang mit anderen Personen – und darüber hinaus mit allen Lebendigen. Der Personenbegriff darf nicht von der Natur absehen. Die so genannten Personalisten haben meiner Ansicht nach diesem Zusammenhang nicht genügend Rechnung getragen.
Zum Beispiel ist der Mensch von Natur ein Sprachwesen. Er besitzt Organe, die nur als Sprechwerkzeuge erklärbar sind. Aber er kann das, was er ist, nur werden in sprachlicher Kommunikation mit anderen. Er besitzt keine natürliche Sprache, alle Sprachen sind historisch und kulturell bedingt. Man gehört einer bestimmten Sprachgemeinschaft an, man erlernt Sprechen von außen. Und wenn man es nicht lernt, entfaltet man sich nicht als Mensch. Man kann also hier nicht Natur und gesellschaftliche Prägung, Natur und Geist oder Natur und Konvention trennen. Die menschliche Natur ist auf eine Prägung durch die Gesellschaft bezogen, und umgekehrt, gesellschaftliche Prägung muss eine Resonanz in der menschlichen Natur finden.
In seinen »Biologischen Fragmenten zu einer Lehre vom Menschen« nennt Adolf Portmann den Menschen eine »physiologische Frühgeburt« und die ersten Monate des Kindes eine »extrauterine Schwangerschaft«. Der Mensch wird geboren zu einem Zeitpunkt, da er noch unfähig ist, sich selbst zu helfen. Und es dauert lange, bis er dahin kommt. Bei Affen geht das viel schneller. Für Portmann ist dieses Unfertige dieBedingung dafür, dass der Mensch eine so radikale gesellschaftliche Prägung aufnehmen kann. Er ist formbar auf eine Weise, die bei anderen Tieren vom Augenblick der Geburt an nicht mehr gegeben ist. Menschliche Natur ist auf Personalität angelegt.
Im Zusammenhang Ihrer Entfaltung des Personenbegriffs fällt auf, dass Sie häufig die Worte »von innen« und »von außen« gebrauchen. Wollen Sie damit zeigen, dass für Sie Person-Sein mehr bedeutet als Subjektivität im üblichen philosophischen Sinne?
Die Person, so versuche ich zu zeigen, ist das Äußerlich-Werden eines Inneren, einer Innerlichkeit. Darum kann man auch eine Person nicht gleichsetzen mit Subjektivität. Sie ist vielmehr Subjektivität, die als Subjektivität objektiv wird, und zwar für andere ebenso wie für sich selbst. Das bedeutet nicht, dass die Person eine subjektive und eine objektive Seite hat, sondern dass sie
als
Subjektivität objektiv wird.
Das wird schon deutlich an der Sprache. Mit ihr drücke ich etwas aus, das sich in meinem Inneren ereignet, nämlich Gedanken. So wird eine Art der Kommunikation möglich, die es im Tierreich nicht gibt.
Der Weg geht von innen nach außen, aber auch von außen nach innen, denn der Mensch entwickelt seine Innerlichkeit erst in Kommunikation mit der Außenwelt. Ein Mensch lernt erst »Ich« sagen, wenn ein anderer zu ihm »Du« gesagt hat. Den Primat des Ich gibt es nicht. Das Ich ist selber Resultat eines Kommunikationsprozesses. Auch die Sprache müssen wir »von außen« lernen, und erst danach beginnen wir begrifflich zu denken. Man kann den Menschen nicht aufteilen in eine Außenseite, also die Körperlichkeit, und eine Innenseite, also das Bewusstsein, in
res extensa
und
res cogitans
. Man darf also Person nicht mit Subjektivität, aberauch nicht mit Individualität gleichsetzen. Personalismus ist nicht Individualismus.
Ist Individualismus nicht nur eine westliche Erfindung?
Als ich vor ein paar Jahren in Peking an der Akademie der Sozialwissenschaften Vorlesungen hielt, wandte ein chinesischer Kollege gegen mich ein, als Europäer sei ich doch ein Individualist. Die Gesellschaft habe aber Vorrang vor dem Einzelnen. Ich entgegnete ihm: »Ich glaube, Sie verstehen uns falsch. Ich bin zwar auch der
Weitere Kostenlose Bücher