Ueber Gott und die Welt
gegenüber
wirklichen
Wesen.
Gegenüber geträumten Menschen habe ich keine Verpflichtung. Wenn es überhaupt so etwas wie das richtige oder falsche Leben gibt, wie das Gute und das Böse, dann gibt es das nur bei einigen grundlegenden Annahmen über die Wirklichkeit. Und davon handelt Metaphysik.
Eine andere These ist ebenfalls unvereinbar mit jeder möglichen Ethik. Ich meine die radikalen neurophysiologischen Behauptungen, die menschliche Freiheit zur großen Illusion erklären.
Die Metaphysik – nicht nur als Begriff, sondern auch als philosophische Disziplin – ist in Misskredit geraten, sei es durch Kant, sei es durch Nietzsche oder Martin Heidegger. Zeitgenössische Kollegen von Ihnen sprechen gern von einer »nachmetaphysischen Zeit«. Warum diese Distanzierung?
Vorab, durch Kant gewiss nicht. Kant hat schließlich eine »Metaphysik der Sitten« geschrieben und »Prolegomena zueiner jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können«.
Nietzsche hielt es in der Tat für unmöglich, objektiv wahre Sätze über die Wirklichkeit zu formulieren. Die Aufklärung habe mit der Beseitigung der Gottesidee auch ihre eigene Auflösung präjudiziert.
Was aber nun das sogenannte postmetaphysische Zeitalter betrifft, so liegt diesem Begriff in der Regel ein Missverständnis zugrunde. Ein postmetaphysisches Zeitalter wäre eine Epoche, in der die Menschen über keine Worte mehr verfügen, um sich über ihr Leben und über die Rolle und Reichweite naturwissenschaftlicher Theorien im Gesamtkontext des Lebens zu verständigen. Das ist zwar das Ziel mancher Theoretiker, darunter beispielsweise auch Quine. Aber es gibt wenig Grund zu der Annahme, dieses Ziel sei erreichbar.
Kant für dieses Programm in Anspruch zu nehmen ist unberechtigt. Es war ja Kant, der die Grenze des Szientismus sichtbar gemacht hat. Sätze über Gott und Seele waren für ihn keine wissenschaftlich verifizierbaren, aber deswegen doch keineswegs sinnlose Sätze. Es waren für ihn Sätze, die sehr wohl wahr oder falsch sein können. Der Glaube an ihre Wahrheit ist nach Kant wohl begründet. Aber auch eine wohlbegründete Glaubensgewissheit ist etwas anderes als wissenschaftliches Wissen – was nicht heißt, wissenschaftliches Wissen sei gewisser als bestimmte Glaubensinhalte. Im Gegenteil. Wissenschaftliche Sätze sind immer Hypothesen. Der Glaube ist eine Weise der Gewissheit, also zum Beispiel der Glaube, dass Hitler Millionen Juden umgebracht und dass der Mondflug wirklich stattgefunden hat und nicht eine TV-In szenierung war.
Metaphysik hat man später genannt, was Aristoteles als die »Erste Philosophie« bezeichnete, und das ist die Lehre von dem, was wirklich ist, und von dem, was es überhaupt heißt,dass etwas ist. Wir sprachen schon von meiner Vorlesung »Über die Bedeutung der Worte ›ist‹, ›existiert‹ und ›es gibt‹«. Das ist Metaphysik. Ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, warum man diese Frage nicht stellen sollte. In der Analytischen Philosophie ist sie breit diskutiert worden.
Das nach meiner Ansicht bedeutendste Buch über Metaphysik des 20. Jahrhunderts, »Process and Reality«, stammt von dem Physiker, Mathematiker und Philosophen Alfred N. Whitehead, der zusammen mit Bertrand Russell Autor der »Principia Mathematica« ist. Was heißt »nachmetaphysisches Zeitalter«?
Sie sagten, die Lehre von Gott gehöre zur Metaphysik. Wie kann man das begründen?
Nicht jede metaphysische Überlegung muss notwendigerweise von Gott sprechen. In meinem Aufsatz »Über die Bedeutung der Worte ›ist‹, ›existiert‹ und ›es gibt‹« ist von Gott gar nicht die Rede.
Und es gibt auch atheistische Metaphysiker wie Schopenhauer. Aber wenn man der Sache wirklich weiter auf den Grund gehen und nicht irgendwo mit dem Fragen einfach aufhören will, wird man bei der Gottesfrage ankommen. Da es den Gottesgedanken gibt, das unsterbliche Gerücht von Gott, muss die Philosophie zu ihm Stellung nehmen. Und das tut ja zum Beispiel Schopenhauer auch.
Für Kant bedeutet das »Ding an sich« das Ding, wie es vom
intellectus archetypus,
das heißt von Gott, gewusst wird. Das »Ding an sich« gibt es, wenn es Gott gibt, denn durch den Blick Gottes auf die Wirklichkeit werden die Dinge erst wirklich.
Wenn es Gott nicht gibt, dann gibt es nichts außer individuellen Perspektiven, die nicht noch einmal an irgendeinem gemeinsamen Maß gemessen werden können. Insofern mündetmetaphysisches Denken tatsächlich in die
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