Ueber Gott und die Welt
Philosophieprofessor, die öffentliche Kontroverse zu suchen?
Es muss sich in mir hinreichend Widerspruch angesammelt haben, bis ich etwas schreibe. Warum ich es dann tatsächlich tue, weiß ich selber nicht genau. Vielleicht ist es mein Naturell.
Ich habe ja einige größere Bücher geschrieben, aber es gibt Situationen, in denen ich mich kurz fassen will und die Form des Essays oder des Zeitschriften- oder Zeitungsartikels wähle, weil die Chance hier größer ist, dass jemand das liest und darüber nachdenkt.
Wenn ich lange genug gehört und gelesen habe, man könne Aussagen und moralische Urteile nur dann auf ihre Wahrheit oder Richtigkeit hin beurteilen, wenn man den Kontext kenne, dann regt sich der Widerspruch. Zunächst mit Bezug auf die Frage, ob es moralische Verbote gebe, die ohne Ansehung des Kontextes und der Folgen immer gelten. Dann aber auch mit Bezug auf die Wahrheit von Sätzen.
In »Personen« versuche ich zu zeigen, dass unsere Sprache schon so aufgebaut ist, dass sie aus Sätzen besteht, die grammatisch abgeschlossene Einheiten bilden und die für sich genommen als wahr oder falsch beurteilt werden können. Sonst könnte man sich auch gar nicht austauschen. Man müsste dann immer den anderen erst ausreden lassen. Es gibt ja die Redensart: »Lassen Sie mich bitte ausreden.« Ausgeredet habe ich aber erst, wenn ich sterbe. Erst im Tod hat man ausgeredet. Ohne die Wahrheit von kontextunabhängigen Sätzen kann man nicht in irgendeinen Diskurs eintreten. In »Personen« findet sich dazu das Kapitel »Kontextunabhängigkeit«.
In den eher publizistischen Texten scheuen Sie vor allem nicht davor zurück, den Zeitgeist zu kritisieren. Was reizt Sie daran?
Leider neige ich generell zu Widerspruch und Kritik. Der Zeitgeist,
jeder
Zeitgeist besteht aus einer Ansammlung von Vorurteilen, für die man Selbstverständlichkeit beansprucht. Die Aufgabe der Philosophie besteht darin, über das Selbstverständliche nachzudenken. Die Macht des Zeitgeistes besteht darin, dass er seine stillschweigend angenommenenSelbstverständlichkeiten nicht formuliert. Und wenn er sie formulieren würde, gäbe es über sie sogleich eine Kontroverse. Von Goethe stammt die Beobachtung: »Jedes ausgesprochene Wort erregt den Gegensinn.«
Und das heißt, wenn man will, dass es keine Gegenäußerung gibt, dann spricht man möglichst seine grundlegenden Überzeugungen nicht aus, sondern unterstellt stillschweigend Einverständnis. Man gibt dann vor, aus allen Wolken zu fallen, und bekundet sein Entsetzen, wenn jemand es wagt, das in Frage zu stellen, was von diesem Stillschweigen lebt.
Wenn ich mit solchen Selbstverständlichkeiten konfrontiert werde, ist mein Reflex, die Frage zu stellen: Ist das wirklich selbstverständlich? Wird nicht manchmal eine Selbstverständlichkeit beansprucht für etwas, das weder gut noch wahr ist?
Wer Selbstverständlichkeiten in Frage stellt, macht sich nicht unbedingt beliebt.
Nein. Ich kann ja auch nicht gerade behaupten, dass ich besonders beliebt wäre. Aber ich bin nur bei wenigen verhasst. Wirklich giftig gegen mich waren eigentlich nur Theologen. Viele erfasst mir gegenüber ein Gefühl der Verlegenheit, nicht unähnlich der Pose, die man gegenüber einem Menschen einnimmt, dem man nicht direkt sagen möchte, wie dumm er ist.
Und wie geben sich Vertreter der wissenschaftlichen Weltanschauung Ihnen gegenüber?
Szientisten sind nicht giftig. Sie sind einfach borniert, aber sie nehmen einem eine Gegenmeinung meistens nicht persönlich übel, wohl aber katholische Theologen. Dabei ist die Moraltheologie – jedenfalls die katholische – ja selber auch nichts anderes als eine Art von Philosophie. Sie schöpft ja ihreWeisheiten nicht aus den Offenbarungsquellen, sondern aus allgemeinen, Vernünftigkeit beanspruchenden Überlegungen.
Ihre philosophischen Überlegungen behaupten einen Zusammenhang zwischen Metaphysik und Ethik beziehungsweise Politik, den viele bestreiten. Stimmt das?
Die Vorstellung, man könne ganz unabhängig von einer grundlegenden Überzeugung über die Wirklichkeit eine Ethik ausformulieren, ist, glaube ich, falsch. In jeder Ethik stecken elementare metaphysische Annahmen. Ich nenne nur eine: die Ablehnung des Solipsismus. Solipsismus ist die Theorie, die sagt, es gibt nur mich. Alle Gedanken sind meine Gedanken. Sie alle wirft man in ein schwarzes Loch: das Ich. Eine Mehrzahl von Menschen gibt es nicht. Ich kann aber nur zu Anerkennung verpflichtet sein
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