Ueber Gott und die Welt
sondern weil es »unseren Werten« widerspricht.
Aber ist der Liberalismus in den westlichen Gesellschaften nicht in eine Krise geraten?
Er ist es vor allem in totalitären Regimen. Die Widerstandskämpfer im Dritten Reich waren keine Liberalen, sondern Menschen mit dezidierten Überzeugungen und eindeutigen Einstellungen gegen die Nationalsozialisten.
Ich habe übrigens den Eindruck, dass wir heute, was die Meinungsfreiheit betrifft, weniger frei sind als in den fünfziger Jahren. Das hängt eng damit zusammen, dass der Begriff des Richtigen und des Wahren im fortschreitenden Pluralismus dahinschwindet. An seine Stelle tritt der Mainstream, die herrschende Meinung. Und wer sich ihr nicht fügt, dem kann es übel ergehen. Die Begründung dafür lautet nicht, man meine etwas Falsches, sondern man weiche von den herrschenden Werten ab.
Aber gibt es heute nicht auch den Schutz der Minderheiten, der deren Diskriminierung in der Gesellschaft sanktioniert?
Es kommt hier sehr darauf an, um welche Minderheiten es sich handelt und was man unter Diskriminierung versteht. Meines Erachtens muss zunächst einmal die Diskriminierung des Begriffs »Diskriminierung« aufhören.
Wenn wir unter Diskriminierung jede Form der Benachteiligung verstehen, dann ist das Diskriminierungsverbot sehr bedenklich. Ebenso wie der Begriff »Ausgrenzung«, der heute häufig benutzt wird. Das Verbot von Ausgrenzung ist insofern ganz unsinnig, als es jeden Zusammenschluss von Menschen verbietet, der auf bestimmten Merkmalen beruht, die nicht von allen Menschen geteilt werden.
Eingrenzen heißt immer auch ausgrenzen. Warum sollen Frauen kein Frauencafé aufmachen dürfen, in dem Männer nicht erwünscht sind? Kein Vegetarierverein wird einen Metzgermeister als Mitglied aufnehmen. Und warum soll ein Ehepaar, das zu den Zeugen Jehovas gehört, nicht das Recht haben, ein Fremdenzimmer in seinem Haus nur an Glaubensgenossen zu vermieten? Die Juden waren zeitweise im Mittelalter von der Mehrheitsgesellschaft ausgegrenzt. Sie selbst grenzten aus ihren Ghettos Nichtjuden aus. Was ist daran falsch? In Nordafrika versperrten mir ernsthafte junge Leute den Zugang zu ihrer Moschee mit der Begründung, dies sei kein Ort zum Herumschauen für Touristen, sondern ein Ort des Gebets. Ich dachte nur: Ihr seid meine Brüder, und zwar gerade weil ihr mich in eure Moschee nicht hereinlasst.
Niemand solle, so wird heute erklärt, wegen seiner Religion oder seiner sexuellen Orientierung diskriminiert werden. Aber was heißt das im Klartext? Ein notorischer Pädophiler, der sich um den Posten des Leiters eines Heims für milieugeschädigte Kinder bewirbt, dürfte nicht aufgrund seiner sexuellen Orientierung ferngehalten werden. Kann man das im Ernst wollen?
Die europäische Zivilisation verliert zunehmend ihr Interesse an der Qualität der Bedingungen guten Aufwachsens für Kinder und Jugendliche. Wo Interessen von Kindern in Kollision stehen mit Interessen von Erwachsenen, haben immer wieder die Interessen der Erwachsenen den Vorrang. Und beider Frage, ob homosexuelle Paare Kinder zur Adoption bekommen, ist das Urteil von Gleichstellungsbeauftragten wichtiger als die Stellungnahme von Pädagogen, Kinderpsychologen und Kinderärzten. Der Lebensstil einer Gesellschaft, in der Kinder ideale Lebensbedingungen finden, ist unvermeidlich eine Gesellschaft, in der alle ein besseres Leben haben.
Kommen wir zurück zu Ihrem Buch »Glück und Wohlwollen«. Es erschien 1989. Wie fielen die Reaktionen darauf aus?
Die Aufnahme, soweit ich mich erinnere, war durchweg freundlich. Der Rezensent in einer philosophischen Zeitschrift ging so weit zu behaupten, was ich über Verzeihung geschrieben hätte, sei das Beste, seit Hegel darüber geschrieben habe. Einige hatten Schwierigkeiten, das Buch in eines der Schemata einzuordnen. Es ist nun einmal weder links noch rechts, weder konservativ noch emanzipatorisch. Kurzum, ich war nicht unzufrieden mit der Resonanz.
Man kann Ihr »Glück und Wohlwollen« als Hauptwerk in Sachen praktischer Philosophie bezeichnen. Im Jahr 2001 erschien – quasi als Ergänzung – die große Aufsatzsammlung »Grenzen«. Sie enthält 40 philosophische Aufsätze über Ethik und Politik, aber auch kritische, zuweilen polemische Texte zu Zeitgeistthemen. Die Grenze zwischen akademischen und publizistischen Essays ist fließend. Wir wissen, dass Sie sich als junger Mann gern publizistisch eingemischt haben. Aber was bewog Sie später, als längst bestallter
Weitere Kostenlose Bücher