Ueber Gott und die Welt
zugrundeliegenden Überzeugungen können wir fallen lassen, aber was wir dann übrig behalten, ist eben der Personenbegriff. Die Frage, wie wir historisch dazu gekommensind, spielt dann keine Rolle. Wir können die Leiter wegwerfen.
Eine Weile kann das funktionieren, denke ich. Die grundlegenden Überzeugungen sind zwar weggebrochen, aber die Resultate sind noch da. Wir können sie kultivieren. Aber das ist eine Frage der Zeit. Sie lösen sich langsam auf, wenn kein Fundament sie mehr trägt. Wir sind im Begriff, glaube ich, in diese Situation zu geraten. Böckenförde schrieb vor paar Jahren einen Aufsatz im Anschluss an einen juristischen Kommentar zum Grundgesetz: »Die Würde des Menschen war unantastbar.«
Wer Ihre publizistischen Texte kennt, dem entgeht nicht, dass Ihr Glaube als Christ und Katholik eine prägende Rolle spielt und dass Sie Ihre Herkunft nicht verleugnen. Bei Ihren philosophischen Arbeiten tritt dieser Bezug weniger in den Vordergrund. Dennoch, ist Ihr Glaube Voraussetzung für Ihr Philosophieren?
Man muss sich klarmachen, dass jeder, der anfängt zu philosophieren, schon bestimmte grundlegende Überzeugungen mitbringt, die gar nicht ausdrücklich ausgesprochen werden müssen. Darum erscheint es mir ein wenig als ein Trick, wenn man einem Gläubigen, der Philosophie treibt, vorhält: »Du hast ja diese oder jene Voraussetzung.« Als hätte der Andere keine.
Man muss sich fragen, was denn Voraussetzung heißt. Wenn das als logische Prämisse verstanden wird, ist es sicher falsch. Aber mit Voraussetzung kann eben auch eine Haltung gemeint sein.
Fichte sagt, welche Philosophie jemand habe, hänge davon ab, was für ein Mensch er sei. Die Haltung des Vertrauens steht für den Gläubigen nicht zur Disposition. Aber sie hindert ihn nicht daran, frei zu denken, ohne Denkverbote. Es istim Gegenteil so: Der Gläubige hält mehr für denkbar und für möglich als der Ungläubige, dessen Hintergrundüberzeugungen oft ähnlich unerschütterlich sind wie die des Offenbarungsgläubigen. Aber seine Bereitschaft, Unwahrscheinliches als wirklich zu akzeptieren, also zum Beispiel Wunder, ist sehr viel geringer.
Denken nichtgläubige Philosophen nicht voraussetzungslos?
Natürlich haben auch sie grundlegende Überzeugungen. Daraus ergeben sich dann auch andere Optionen in der Philosophie. Ich habe Ihnen ja schon Dennetts dogmatisches Bekenntnis zum Materialismus zitiert. Es ist unfair, wenn zum Beispiel – Norbert Hoerster pflegt bewusst dieses Spiel – gesagt wird: Spaemann ist ein katholischer Philosoph. Darum muss er dies oder das so sagen, wie er es sagt, also zum Beispiel für Embryonenschutz sein.
Ich jedenfalls würde nicht sagen, weil jemand der Humanistischen Union angehört, müsse er so und so denken, sondern ich nehme an, dass er, weil er bestimmte Grundüberzeugungen hat, Mitglied der Humanistischen Union ist. Ich leugne gar nicht, dass meine Grundhaltung gegenüber der Wirklichkeit in einem Grundvertrauen fundiert ist, das ich nicht der Philosophie verdanke.
Und Ähnliches gilt für die katholische Morallehre. Ich könnte ihretwegen katholisch werden, wenn ich es nicht schon wäre, so sehr stimmt sie mit dem überein, was ich denke.
Von Anselm von Canterbury stammt die Wendung:
Fides
quaerens intellectum
, der Glaube, der nach dem Intellekt, nach der Vernunft fragt. Denkbar ist auch die Umkehrung:
Intellectus quaerens fidem
. Für welche der Alternativen würden Sie plädieren?
Der Offenbarungsglaube ist zunächst nicht direkt auf Philosophie angewiesen, wohl aber die Theologie. Aber es besteht doch bei einem denkenden Menschen, der ein bewusstes Leben zu führen sucht, das Bedürfnis, das, was er glaubt, mit dem, was er sonst von der Welt weiß, in einen Zusammenhang zu bringen. Dieser Zusammenhang lässt sich ohne Philosophie kaum herstellen. Philosophie bildet die Brücke, um den Glauben in dem, was wir sonst wissen, zu verankern. Deshalb plädiere ich für die
fides quaerens intellectum
.
Alle Philosophie geht nicht nur von bestimmten Grundüberzeugungen aus, sondern auch von bestimmten Erfahrungen. Darum hat ja Schelling seine späte Philosophie als spekulativen Empirismus bezeichnet. Dieser Art zu denken liegen Erfahrungen zugrunde, die man nicht einfach ausblenden kann und sagen, sie zählen nicht. Sicher, der übliche Empirismus lässt nur Sinnesdaten gelten. Aber sein Erfahrungsbegriff ist einer, der die Erfahrung eigentlich auflöst. Die Art von Philosophie, die ich treibe,
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