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Ueber Gott und die Welt

Ueber Gott und die Welt

Titel: Ueber Gott und die Welt
Autoren: Robert Spaemann
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mir nun ausführlich sein Metier erklärte, die Konstruktion von Maschinen zur Herstellung von Pralinen. Das Militärtribunal verurteilte jeden Einsitzenden zu so viel Tagen Gefängnis, wie er bereits in der Untersuchungshaft zugebracht hatte. Meine Laune war die beste. Der Krieg war vorbei, das Gefängnis ein Luxushotel im Vergleich zu dem zuvor jederzeit drohenden KZ, und eine Liebste wartete auf mich.
    Natürlich habe ich, wie fast immer, Glück gehabt. Es gab andere, denen es unter den Franzosen übel erging. Mir ist der Tannenduft in der goldenen Oktobersonne auf dem Fußmarsch in Richtung Freiburg nach meiner Entlassung unvergesslich. Das Haus, das mich erwartete, war das Haus Heinrich Höflers, der aus der Todeszelle im Reichssicherheitshauptamt in Berlin kurz vor seiner Exekution befreit worden war und mich strahlend wie immer umarmte.
    Die wiedergewonnene Freiheit hatte zunächst ein einfaches Gesicht, nämlich das der Rechtssicherheit und der Geltung von inhaltlich nachvollziehbaren Paragraphen. Dieses hohe Rechtsgut muss immer wieder neu verteidigt werden. Heute ist es bedroht von den sogenannten »Werten«, durch die so etwas wie politische Korrektheit definiert wird. Jeder falsche Zungenschlag kann heute kriminalisiert werden.
    Und wenn nun oft von Europa als einer »Wertegemeinschaft« die Rede ist, dann erinnert mich das an die Wertegemeinschaft, die wir zwölf Jahre hatten und die an die Stelle eine Rechtsordnung getreten war. Alle Totalitarismen des 20. Jahrhunderts proklamierten die Überordnung der Wertegemeinschaft gegenüber dem Staat, der auf diese Weise natürlich aufhört, eine Rechtsordnung zu sein. Aber auch Demokratien sind nicht gefeit gegen die Tyrannei der politischen Korrektheit, eine Tyrannei der Werte. Die Tugend der Liberalität kann auch durch eine obligatorische »liberale« Weltanschauungbedroht werden. Sie wird zum Beispiel immer dann bedroht, wenn in der Europäischen Union nationale Regierungen nicht dafür bestraft werden, dass sie gegen Paragraphen der europäischen Verträge verstoßen, sondern weil sie »dem Geist der Verträge« nicht entsprechen.

    Sie haben sich durch eine gezielt herbeigeführte Krankheit dem Fahneneid entzogen. Mussten Sie nach dem Arbeitsdienst auch zum Wehrdienst?
    Ich bekam noch einen Gestellungsbefehl zur Wehrmacht, dem ich aber nicht folgte. Ich lebte damals nicht mehr zu Hause, sondern bei einem Bauern. Ich bin untergetaucht, was der Bauer übrigens nicht wusste. Er hielt mich für »ausgemustert«, aus gesundheitlichen Gründen.
    Haben Sie sich gedrückt? Kam das nicht einer Desertion gleich?
    Ja, so war es wohl.
    Sie sollten also mit 17 Jahren noch zur Wehrmacht?
    Ja, das war keine Ausnahme. Mein bester Freund beispielsweise, so alt wie ich, wurde noch eingezogen und ist vermutlich in Budapest gefallen. Die Zeit kurz vor der deutschen Kapitulation war chaotisch.
    War denn für Sie ein geregelter Schulbesuch noch möglich?
    Nein, mit dem Reichsarbeitsdienst im Herbst 1944 war damit Schluss. Meine wichtigste Schulzeit blieb diejenige, die ich im Kölner Gymnasium erlebte, das ich leider 1942, mit15 Jahren, verlassen musste. Vor allem meinem Lehrer Anton Klein trauerte ich nach.
    Das neue Gymnasium in Dorsten langweilte mich eher. Außerdem wurde ich ein halbes Jahr lang in meiner Klasse gemobbt. Wahrscheinlich weil man mich als arrogant empfand. Ich übersetzte in dieser Zeit einen Gesang des Vergil in deutsche Hexameter. Theodor Haeckers »Vergil – Vater des Abendlandes« hatte mich Feuer fangen lassen. Französisch und Hebräisch lernte ich in Privatunterricht. Die Schule abgeschlossen habe ich erst direkt nach dem Krieg mit einem Notabitur. Damals war ich achtzehn.
    Zurück zu Ihrem Interesse an der Philosophie. Welche Vorstellung hatten Sie in Ihrer Jugendzeit von ihr? War es für Sie mehr eine systematische Denkdisziplin oder eine besondere Weise, zu leben?
    In der Antike ist die Philosophie ein Bios, eine Lebensweise, die sich zum Beispiel von der des Politikers unterscheidet. Meiner Meinung nach hat sich die Philosophie als rein theoretische Disziplin erst im Kontext des Christentums herausgebildet. Philosophie als Lebensweise wurde durch den christlichen Glauben, durch das, was die frühen Väter auch »philosophia Christi« nannten, abgelöst. Die existentielle Seite der Philosophie wurde aufgehoben durch die Lebensweise des Christ-Seins, übrig blieb ihre theoretische Seite, ihre Eigenschaft als wissenschaftliche Disziplin.
    Demnach
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