Ueber Gott und die Welt
Existenzphilosophie. Das konzentrierte schmale Bändchen erübrigt die Lektüre vieler späterer wortreicher Stellungnahmen von Jaspers zu Fragen der Zeit. Der Gast war für mich mit einer Gloriole umgeben, ein Engel in Gestalt eines strahlenden uniformierten deutschen Jünglings.
Damals war er für mich ein Vorbild. Ich wollte in diesem Krieg nicht deutscher Soldat werden. Meine Gymnasialklasse meldete sich damals geschlossen freiwillig für die Offizierslaufbahn – gewiss nicht, weil sie unbedingt noch in den Krieg ziehen wollten, sondern weil sie hofften, innerhalb des Militärs rasch zu Offizieren befördert zu werden.
Mir lag dieser Gedanke fern. Mir schien die Verantwortung eines Offiziers für den Krieg, in dem er diente, größer als die des Gemeinen. Natürlich verbot es sich, mit irgendjemandem darüber zu sprechen. Es war mir ohnehin klar, dass ich nur bei wenigen mit Verständnis hätte rechnen können. In »meinen Kreisen« war die Abstraktion des Krieges von den Kriegszielen Hitlers das Übliche. Viele träumten davon, dass die Kriegsheimkehrer dem nationalsozialistischen Spuk nach dem Endsieg ein Ende machen würden. Und ähnlich wie in Frankreich die Antirepublikaner in der Armee – sehr zu Unrecht – eine von der Revolution unberührte Repräsentation des wahren Frankreichs sahen, so war für manche Gegner der Nationalsozialisten die Wehrmacht eine Zuflucht für unabhängige Geister.
Der Bischof von Galen, dem es an Mut gewiss nicht fehlte – ich konnte von diesem Mut nur träumen –, befahl seinen Seminaristen, wenn sie Zweifel an der Berechtigungdieses Krieges und deshalb ihres Militärdienstes äußerten, kurz und bündig, sich dem Dienst am Vaterland nicht zu entziehen.
Anfang Januar 1945 war ich immer noch nicht eingezogen. Ein Militärarzt hatte mich für zwei Monate zurückstellen lassen – auf Intervention eines Generals, wie ich nach dem Krieg erfuhr, aber ich weiß nicht, von wem und warum.
Das Epiphaniefest beging ich damals in der Abtei Maria Laach. Unvergesslich ist mir der Einzug der Mönche unter dem Gesang des Introitus dieses Festes »Ecce advenit dominator dominus«. Maria Laach war immer ein sehr »nationales« Kloster. Kaiser Wilhelm II. hatte ihm das große Apsismosaik gestiftet. Der Prior, Pater Bogner, Offizier im Ersten Weltkrieg, später Bauhaus-Student und dann Mönch, hatte ein bekanntes Buch geschrieben »Soldat und Mönch«. Bei einem winterlichen Spaziergang erzählte ich ihm, dass ich Remarques »Im Westen nichts Neues« gelesen hatte, was er sehr missbilligte.
Kurz vor Ablauf der Zeit der militärischen Zurückstellung verschwand ich und war postalisch für keinen Gestellungsbefehl mehr erreichbar. Ich weiß nicht mehr, unter welchem Vorwand ich einem uns bekannten Bauern in der Umgebung von Dorsten, dessen Sohn im Feld war, meine Hilfe anbot und mich bei ihm einquartierte. Wenn ich bei ihm entdeckt worden wäre, hätte es ihn nicht in meine Illegalität hineingezogen, denn er war guten Glaubens, ich sei immer noch aus gesundheitlichen Gründen »zurückgestellt«.
In diese Zeit fiel dann die Vernichtung der Stadt Dorsten, die durch alliierte Flugzeuge dem Erdboden gleichgemacht wurde. Zuvor hatten die alliierten Flieger bereits Jagd auf Bauern bei der Feldarbeit gemacht. Ich sah aus der Ferne die Rauchwolken aufsteigen und radelte nach dem Ende des Bombardements dorthin in der geringen Hoffnung, meinenVater in der Trümmerwüste noch wiederzufinden. Ich traf ihn tatsächlich sofort, staubüberschüttet, auf der Straße. Ein Zuhause gab es nicht mehr. Die Wohnung mit Möbeln, Bildern und Büchern existierte nicht mehr. Mein Vater, für den es in Dorsten keine Gemeinde mehr zu betreuen gab, kam zu mir auf den Bauernhof, wo wir die Kartage und das Osterfest mit der Bauernfamilie begingen. Gründonnerstag feierte mein Vater die Messe im Keller auf einer Kartoffelkiste; Ostern aber, mit den zusammengerufenen Nachbarn, in der guten Stube.
Am Karfreitag 1945 waren die Amerikaner einmarschiert. Aber von »Marschieren« konnte eigentlich nicht die Rede sein. Ein Offizier und ein paar Soldaten sprangen aus einem Auto und konfiszierten erst einmal das Haus mit dem Satz »This is an American hospital.« Die Bewohner des Hauses hatten sich mit zwei Räumen zu begnügen. Unvergesslich aber sind mir die ersten Minuten der Besatzung. Während die SS noch einige Kilometer weiter Bürger exekutierte, weil sie weiße Fahnen gehisst hatten, holten die Amis erst einmal einen
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