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Ueber Gott und die Welt

Ueber Gott und die Welt

Titel: Ueber Gott und die Welt
Autoren: Robert Spaemann
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Ball aus dem Auto und fingen an zu spielen. Diese unabsichtliche Demonstration eines durch und durch zivilen Geistes hat mich damals tief beeindruckt.
    »Spaemann, der Halbzivilist« war ja schon der Spottname der »Offiziere« im Reichsarbeitsdienst gewesen, weil ich demonstrativ immer wieder die zivilen Vokabeln »bitte« und »danke« benutzte, was mit dem militärischen Zeremoniell inkompatibel war. Und nun dies. Aber man muss natürlich auch die Kehrseite dieses zivilen Geistes sehen: Er kann sich nämlich den Feind nur als Verbrecher und den gerechten Krieg nur als Polizeiaktion denken. Die brutale Vernichtung ziviler Städte widersprach jedem militärischen Ethos, das immer eine Achtung des Feindes impliziert und dem der Gedanke fremd ist, man dürfe eine unverteidigte Stadt dem Erdbodengleichmachen, nur weil man es für möglich hielt, dass in deren Mauern sich irgendwo noch ein oder zwei Heckenschützen aufhielten oder, in den Jahren zuvor, um die Kriegsmoral des Volkes zu brechen. Aber militärisches Ethos war auf deutscher Seite, vor allem dort, wo die SS sich breit machte, ohnehin verschwunden.
    Dort aber, wo die Alliierten unter amerikanischem Oberbefehl ihr Besatzungsregime etablierten, da erlebte ich das tatsächlich in erster Linie als Befreiung, wenn auch mit einem kleinen Stolperstein zu Beginn. Bei der Kontrolle unserer Papiere ergab sich nämlich, dass mein Vater katholischer Priester war und ich sein Sohn gleichen Namens. Das führte zu einem kurzen Verhör: »You are a catholic priest. You can not have a family.«
    Die Erklärung wirkte zu kompliziert. Wir wurden in einen benachbarten Bauernhof gebracht und dort in ein Zimmer eingeschlossen, bis ein polnischer Militärgeistlicher das Zimmer betrat und meinen Vater einem Test unterzog: »Sagen Sie das Placeat.« Das »Placeat« ist ein kurzes Gebet an die Dreifaltigkeit in der alten lateinischen Liturgie, das gegen Ende der Messe der Priester allein leise spricht und das kein normaler Laie auswendig kennt.
    Das Unglück wollte, dass mein Vater es in der Aufregung auch nicht herausbrachte. Aber irgendwie gelang es ihm, sich doch glaubhaft zu machen. Nachdem der polnische Priester die Anfangsworte dieses Textes gesprochen hatte, wusste mein Vater wieder, wie es weitergeht. Der Mitbruder entfernte sich dann so grußlos, wie er gekommen war.
    Leider gab es im polnischen Klerus gegenüber deutschen Mitbrüdern selten Spuren von Brüderlichkeit. Die deutschen Pfarrer in den polnisch besetzten Gebieten wurden von den ihnen nachfolgenden polnischen Amtsbrüdern buchstäblich über Nacht aus ihren Pfarrhäusern gejagt.
    Nach diesem Intermezzo kam dann das große Aufatmen bei der Lektüre der überall angeschlagenen ersten Bekanntmachung, die mit den Worten begann: »Ich, General Dwight Eisenhower, ordne an: …«, und dann kamen strenge Vorschriften, Ausgangssperren und so weiter, die alle mit drakonischen Strafandrohungen bis hin zur Todesstrafe verbunden waren.
    Was ich damals aus diesen Bekanntmachungen las, stand zwischen den Zeilen, nämlich die Zusage, dass mir nichts geschehen werde, wenn ich diese Anordnungen befolgte. Das war neu. So etwas wie Rechtssicherheit hatte im Dritten Reich nicht existiert. Und das Gefängnis war oft eine Zuflucht vor Schlimmerem. So berichtete ein Schulfreund meines Vaters, von Beruf Richter, bei einem Besuch, er habe gerade gestern einen Mann zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt wegen defätistischer Äußerungen. »Ich habe ihm das Leben gerettet«, sagte er. »Ich wusste, dass vor dem Gerichtsgebäude bereits die Gestapo stand, die den Mann, wenn er freigesprochen worden wäre, sofort verhaftet und ins Konzentrationslager gebracht hätte. Dass dies nun nicht mehr zu befürchten war, entnahm ich der Botschaft in den Strafandrohungen des Generals Eisenhower.
    Einmal bin ich ja tatsächlich unter dem Besatzungsregime im Gefängnis gelandet, als ich nämlich mit einem abgelaufenen englischen Passierschein in der französischen Zone im Zug von einer Militärpatrouille aufgegriffen und in Neustadt im Schwarzwald hinter Gitter gebracht wurde. Ich schrieb dort übrigens meinen ersten philosophischen Aufsatz – auf Toilettenpapier, einen Aufsatz über das Verhältnis von Ewigkeit und Augenblick. Das Essen war elend. Meine Zellengenossen waren zwei junge Schwarzhändler, mit denen ich mit selbst angefertigten Karten Skat spielte, und anschließend ein Ingenieur, der wegen desselben Delikts wie ich aufgegriffenworden war und
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