Ueber Gott und die Welt
das Studium der spanischen Scholastiker des 17. Jahrhunderts geprägt war. Gilson war ein glänzender »philosophischer Philosophiehistoriker«, dessen Buch »L’être et l’essence« bzw. »Being and some philosophers« mit seiner These vom Primat des Seins vor dem Wesen, so etwas wie einen thomistischen Existenzialismus begründete.
Von Gabriel Marcel sprach ich schon. Auf langen Spaziergängen erzählte er meiner Frau und mir den Inhalt seiner eher an Ibsen erinnernden Theaterstücke, was uns auf die Lektüre gespannt machte, denn Marcel war ein guter Erzähler. Aber die Lektüre war dann enttäuschend, weil die Stücke eigentlich nichts über das hinaus enthielten, was er schon erzählt hatte.
Am katholischen Triumphalismus Paul Claudels rieb er sich. Dass Claudel der größere Dichter war, konnte er nicht ändern. Claudels Inspirator Rimbaud war eben einfach eine andere Kategorie als Ibsen. Viele haben sich an Claudel gerieben. So auch André Gide, der mit Claudel ausführlich korrespondierte und in einer Tagebuchnotiz schreibt: »Alles hat er mehr als ich: mehr Genie, mehr Talent, mehr Geld, mehr Kinder, mehr Glaube.«
Amüsant war der Klatsch über Claudel als Diplomaten. Marcel erzählte, dass bei jedem Regierungswechsel in Paris ein Schreiben Claudels an den jeweils neuen Außenminister einging, in dem Claudel seiner ganz besonderen Freude über die Ernennung gerade dieses Ministers Ausdruck gab.
Im Übrigen hatte ich längst verstanden, dass die Französische Revolution der Kristallisationspunkt des neuzeitlichen Denkens war. Hier folgte ich Joachim Ritter.
Sie sagten, dass Carl Schmitt Sie auf den Vicomte de Bonald aufmerksam machte. Warum wählten Sie gerade ihn als Thema für Ihre Doktorarbeit aus?
In seiner »Théorie du pouvoir« fand ich eine Revolutionskritik, die den Rousseau’schen Begriff der »volonté générale« gegen die Umwälzung von 1789 wendet. Das erschien mir eine ganz neue Sicht, die auch Carl Schmitt nicht aufgefallen war. Er war ja kein Anhänger von de Bonalds Theorie.
Anders als Joseph de Maistre lehnte de Bonald nicht nur die Idee der Volkssouveränität ab, sondern die Idee der Souveränität als solche. Souverän war für ihn die »volonté générale«, und diese nichts anderes als der Wille des Schöpfers, also das Naturrecht. Dagegen sah er im Absolutismus die eigentliche Revolution, den Triumph des Menschen.
Jede Revolution begann für ihn von oben, und zwar die Französische Revolution mit zwei ungesetzlichen Willkürakten des Königs, der Aufhebung des Jesuitenordens und dem Dekret, das die repräsentative Versammlung der Generalstände in drei Kammern zu einer »Nationalversammlung« verschmolz.
Die Tyrannei eines Einzelnen wurde durch die Tyrannei der Mehrheit ersetzt oder aber durch eine selbsternannte Minderheit, die sich zum Sachwalter des Volkes erklärte.
Carl Schmitt hatte mich wohl auf de Bonald aufmerksam gemacht, aber eine Arbeit über den »Ursprung der Soziologie aus dem Geist der Restauration« zu schreiben, das war mein Gedanke, ein Gedanke, der mich für eine Weile wirklich beflügelte.
Jedenfalls war mir sofort klar, hier habe ich mein Dissertationsthema, und ich ging damit zu Ritter.
War es damals nicht üblich, dass der Professor das Thema vorschlägt?
Nein, nicht bei Ritter. Ich überraschte ihn 1951 mit meiner Entdeckung und erklärte ihm, was mich da neugierig gemacht hatte. Der Name de Bonald war ihm vielleicht irgendwann untergekommen, ansonsten verband er damit aber so gut wie gar nichts. Joseph de Maistre sagte ihm mehr. Er wäre wohl auch nicht auf die Idee gekommen, mir de Bonald vorzuschlagen, denn meine – im Übrigen von tiefer Sympathie getragene – Kritik am funktionalistischen Traditionalismus de Bonalds bedeutete eine Emanzipation von meinem Lehrer.
Joachim Ritter wie auch Carl Schmitt sagte Joseph de Maistre mehr, der ein brillanter Schriftsteller, ein »bel esprit« war. Dagegen mutete de Bonalds Schreib- und Denkstil trocken, pedantisch und scholastisch an. Anfang der fünfziger Jahre kannte ihn in Deutschland so gut wie niemand.
Sie haben ein philosophiehistorisches, kein philosophisches Thema vorgeschlagen. Musste das nicht eigens begründet werden?
Ritter lehrte Philosophie, nicht Geschichte der Philosophie. Das stimmt. Aber er akzeptierte philosophiehistorische Arbeiten, wenn sie einen philosophischen Aspekt aufzeigten. Pure Historiographie interessierte ihn nicht. Er war da in Übereinstimmung mit Heidegger:
Weitere Kostenlose Bücher