Ueber Gott und die Welt
wollen, wenn ich nicht sähe, dass andere sie irreführen.« Das spiegelt auch meine etwas chaotische Bibliothek, die nicht die vorbildliche Bibliothek eines deutschen Gelehrten ist.
Gewiss, im Rückblick sehe ich sehr deutlich, dass ich bestimmte Leitideen hatte, die sich immer stärker herauskristallisierten und einen Zusammenhang meiner Schriften erkennen lassen, den ich erst nachträglich entdecke. Was sich aus zufälligen Konstellationen ergab, erweist sich im Rückblick als gar nicht zufällig. Insofern muss ich dankbar sein dafür, dass die vielfältigen Anregungen und Herausforderungen meines Denkens am Ende sich doch zu einem Ganzen fügen und einen Zusammenhang erkennen lassen, der mir erst ganz allmählich aufging.
Ich war ein Chaot, was die systematische Anlage meines Studiums angeht. Mein Dissertationsthema überraschte Joachim Ritter, der mit dem Namen de Bonald bisher so gut wie gar nichts verband. Er wäre wohl auch nicht auf die Idee gekommen, mir dieses Thema vorzuschlagen, denn meine – im Übrigen von tiefer Sympathie getragene – Kritik an dem funktionalistischen Traditionalismus de Bonalds war natürlich eine kritische Emanzipation von meinem Lehrer.
Der Name de Bonald wurde mir übrigens erstmals bekannt durch einen Text von Carl Schmitt. Aber eine Arbeit über den »Ursprung der Soziologie aus dem Geist der Restauration« zu schreiben, das war mein Gedanke, ein Gedanke, der mich für eine Weile wirklich beflügelte. Das Buch, das durch italienische und französische Übersetzungen 50 Jahre nach seinem Erscheinen ein Comeback erlebte, habe ich inParis ohne nach links und rechts zu schauen in drei Monaten geschrieben.
Carl Schmitt hat als Reaktion auf das Buch seine 1919 erworbene Erstausgabe der »Théorie du Pouvoir« von 1796 neu binden lassen und mir geschenkt. Sie war anonym erschienen in Konstanz – »par Mr. de *** , un Gentilhomme français«.
Wie sind Sie auf Carl Schmitt gestoßen?
Vor Ende des Krieges hatte mich Walter Warnach, der Anfang der fünfziger Jahre das Buch »Die Welt des Schmerzes« veröffentlicht hat, auf ihn aufmerksam gemacht. Er war ein Freund von Carl Schmitt und wollte mich mit ihm bekanntmachen. Ich lehnte das damals ab, weil ich wusste, dass Schmitt auf der anderen Seite stand.
Nach dem Krieg hatte ich weniger Probleme mit ehemaligen Nationalsozialisten. Die waren ja besiegt. Ich war von Jugend auf skeptisch gegen Ideologen im Dienst der Nationalsozialisten, die sich einem Machthaber verschrieben hatten, die mit ihm im Rücken meinten, auftrumpfen zu können. Ich dachte mir, dann rede ich schon lieber mit dem Machthaber selbst, und zwar über Politik, und nicht mit dem Ideologen über die Philosophie, mit der er seinen Machthaber rechtfertigen will.
Aber nach dem verlorenen Krieg war das anders. Jetzt begann mich jemand wie Carl Schmitt zu interessieren. Wohl im Jahr 1950 lud Joachim Ritter den akademisch suspendierten Juristen und politischen Denker zu einem Vortrag nach Münster ein. Später besuchte ich ihn einmal in Plettenberg und er mich in Münster. Er war immer an jungen Leuten interessiert und schrieb mir auch zu meinem »Fénelon« einen ausgiebigen Brief.
Wissen Sie noch, worüber er sprach?
Er sprach über Kapitalismus. Ich habe noch zwei Sätze im Gedächtnis: »Niemand kann geben, ohne zu nehmen« und »Kapitalismus ist der Versuch, zu geben, ohne zu nehmen«. Sie provozieren noch heute zum Nachdenken.
»Der Begriff des Politischen« beeindruckte mich bleibend. Ich glaube, dass die Schrift nach wie vor falsch gelesen wird. Der Aufsatz, der den späteren Auflagen dieser Schrift beigefügt ist – über »Das Zeitalter der Neutralisierungen« –, ist ein Schlüssel für das Verstehen unserer Epoche.
Bei all seiner intellektuellen Brillanz – musste einen die Person Carl Schmitt, seine Vita, nicht doch kritisch stimmen?
Ja, mir ging es da wie vielen. Es ist eine Sache des Charakters. Man kann keinen guten Charakter haben, wenn man Sachen tut oder sagt wie Carl Schmitt zeitweilig. Auch seine Art von fast hinterhältigem Antisemitismus bleibt unangenehm. Er war jemand, der sich dem NS-Regime zur Verfügung gestellt hat.
Als Denker aber hat er sich nicht als nationalsozialistischer Ideologe verstanden, sondern er sah sich wie viele Intellektuelle, die sich in den zwanziger Jahren einen Namen gemacht hatten, als einen selbständigen Denker und Kritiker der Folgen der »Französischen Revolution«. Insofern war er kein
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