Ueber Gott und die Welt
ist.
Einerseits heißt es am Schluss seines ersten Werkes, der »Théorie du pouvoir«: »Gott wird der Gesellschaft zurückgegeben werden und der König Frankreich und der Friede dem Universum.« Andererseits macht er eine Voraussage über seine eigenen theoretischen Versuche: »Diese sublimen Betrachtungen über die Gesellschaftsordnung – Gegenstand einer entsprechenden Theorie der Macht – werden die Beschäftigung des Jahrhunderts sein, das anbricht.«
De Bonald ist kein Romantiker. Er weiß, dass sich die »alten« Zustände nicht mehr so wiederherstellen lassen, wie sie waren. Sie können nicht ideal gewesen sein, denn sonst hätte es die Revolution nicht gegeben. De Bonald war Katholik. Es gibt von ihm Gebete, die seinen Glauben bezeugen. Er wäre für seinen Glauben gestorben.
Aber philosophisch hätte er den Sinn seines Glaubens nur noch von der Idee der Erhaltung der Gesellschaft her bestimmen können. Insofern stand er an der Grenze zwischen Christentum und Positivismus. Obschon er persönlich ein gläubiger Katholik war, näherte sich seine philosophische Rechtfertigung des Christentums der Funktionalisierung des Glaubens und damit seiner Aufhebung.
Kein Wunder, dass er zum Vorreiter einer französischenBewegung gemacht wurde, die den Positivismus Comtes und den Katholizismus zusammenzubringen meinte, der Action Française.
Wenn er auch kein purer Traditionalist war, was war er dann?
De Bonald akzeptierte nicht die übliche Art, fortschrittliches und rückständiges Denken gegeneinander zu stellen, sondern er fühlte sich als Vertreter des Fortschritts. Für ihn war Fortschritt der kontinuierliche Prozess der Gesellschaft vom 12. Jahrhundert bis zur Französischen Revolution. Mit dem Jahr 1789 wurde dieser Fortschritt abgebrochen.
Nicht mehr die volonté générale regiert, sondern nur noch die volonté de tous, der partikuläre Wille der Individuen. Für de Bonald aber »lebt der Mensch auf Erden, um die Mittel seiner physischen und geistigen Existenz zu perfektionieren«. Das ist eigentlich Fortschritt – die Verbesserung der Bedingungen, die den Menschen am Leben erhalten.
Sie sprechen an anderer Stelle einmal von der »Unterwerfung des Lebens unter die Bedingungen seiner Erhaltung« und bezeichnen diese Haltung als das Hauptmerkmal der rechten politischen Weltanschauung innerhalb der europäischen Geschichte. Muss man de Bonald darunter zählen?
»Unterwerfung des Daseins unter die Bedingungen seiner Erhaltung« ist eine Formulierung, auf die ich stieß bei der Lektüre eines 1949 zufällig erworbenen, in einem kleinen Emigrantenverlag 1947 in Amsterdam erschienenen Buches, »Die Dialektik der Aufklärung« der mir damals unbekannten Autoren Theodor W. Adorno und Max Horkheimer.
Der Satz löste in mir eine Kette von Einsichten aus: Es gibt zwei anthropologisch fundamentale Interessen und Tendenzen,einmal das Interesse an Freiheit, Selbstverwirklichung und Triebbefriedigung; das andere Interesse ist das an der Selbsterhaltung. Diese Tendenzen sind antagonistisch.
Jedenfalls sind sie es in der Neuzeit, nachdem der klassische Begriff des »telos« aufgegeben wurde. Telos – das bedeutete zugleich Ziel und Grenze, »Ende«. Der Begriff zerfällt in der Neuzeit in seine
membra disiecta
. Der Zerfall bildet den ontologischen Hintergrund der politischen Begriffe Links und Rechts. Die klassische Position der Rechten kämpft für die Erhaltungsbedingungen, und zwar bis zu dem Punkt, an dem überhaupt keine Verwirklichung der Freiheit mehr möglich ist.
Das Schicksal des Sozialismus in den kommunistischen Ländern zeigt noch etwas anderes, nämlich den Umschlag der einen Tendenz in die andere. Die Linke, eigentlich die Partei der Befreiung, etabliert radikale Diktaturen, die ihre einstigen Versprechen nicht einlösen können und nur noch an ihrem eigenen Machterhalt interessiert sind. Das eine Extrem kippt über in das andere.
Bedeutet also Dialektik der Aufklärung das Manifestwerden zweier gegenläufiger Tendenzen, die entweder auf »Selbstverwirklichung« oder auf »Selbsterhaltung« aus sind und in ihr jeweiliges Gegenteil umschlagen, wenn sie zum Extrem gesteigert werden? Provoziert demnach zu viel Befreiung Erhaltung, zu viel Erhaltung Befreiung?
Ja, ich glaube, so ist es. 1979, in einer Festschrift für Golo Mann, schrieb ich einen Aufsatz über die »Ontologie der Begriffe rechts und links«, in dem ich diesen Gedanken wieder aufgegriffen habe. Die extreme Rechte und die extreme Linke
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