Ueber Gott und die Welt
wurde.
Hinter der Geringschätzung Fénelons durch seine Gegner steht eine gewisse Dumpfheit, aber bei den Aufklärern, die ihn hochhalten, herrscht ein großes Missverständnis. Fénelon lehrte, dass der Mensch den »amour propre« überwinden kann, was die Aufklärer ja gerade nicht glauben. Für sie bleibt der Mensch durch den »amour propre« bestimmt. »We never advance one step beyond ourselves« – wie es bei David Hume heißt.
Woher kommt die Sympathie der Aufklärer für einen Aristokraten, der sich als Freund der Mystik versteht?
Er ist erstens der Absolutismuskritiker. Es ist zweitens die Tatsache, dass seine Schrift »Les maximes des saints« von Rom verurteilt wurde. Und es ist drittens der Umstand, dass inder Mystik die konkreten, narrativen und dogmatischen Elemente des christlichen Glaubens in den Hintergrund treten. Das gefiel den Aufklärern, aber auch dem Grafen Zinzendorf und den Pietisten, die sich als Gegenbewegung zum orthodoxen Luthertum verstanden.
Matthias Claudius hat Fénelons Briefe ins Deutsche übersetzt, was dessen Wirkung in Deutschland erheblich steigerte, bei christlichen Aufklärern und in der Romantik. Aber man darf einen Punkt bei Fénelon nicht übersehen. Er hält an den tradierten Inhalten des Glaubens und der Dogmatik fest, ja er sieht in diesem Festhalten die extreme Form der Selbstentäußerung. Der Gehorsam, mit dem die tradierten Glaubensgehalte angenommen werden, die »Dunkelheit des reinen Glaubens«, stellt für ihn den tiefsten Akt der Mystik dar.
Sie haben mit einer Arbeit habilitiert, die eher als geisteswissenschaftliche oder philosophiehistorische Untersuchung bezeichnet werden kann denn als systematischphilosophische Abhandlung. War das einer – Anfang der sechziger Jahre – neuen Tendenz geschuldet, welche die Aufgabe akademischer Philosophie anders bestimmen sollte?
Ich glaube, dass die Trennung von Philosophiegeschichte und systematischer Philosophie etwas Unphilosophisches ist. Es gibt im 20. Jahrhundert einige Philosophen, die das klar gesehen haben, zum Beispiel Martin Heidegger.
Dabei sollte man natürlich das Problem des Historismus nicht übersehen. Vor allen Dingen in der radikalen Form des Marxismus hat er eine Schwäche. Er glaubt, die Thematisierung der Entstehungsbedingungen eines Textes sei der Schlüssel zum Verständnis des Textes selbst, und von den Wahrheitsansprüchen, die dieser Text einmal erhoben hat, könne man sich verabschieden. Wer so vorgeht, verhält sich selbst ungeschichtlich,weil er nämlich annimmt, seinerseits im Besitz eines Maßstabes zu sein, mit dem er alle zurückliegenden Wahrheitsansprüche interpretieren und bewerten kann.
Nehmen Sie ein Beispiel: Rudolf Eislers »Wörterbuch der philosophischen Begriffe« aus dem Jahr 1904. Es war der Vorläufer des »Historischen Wörterbuchs der Philosophie«, das von Joachim Ritter bis zu seinem Tod 1974 herausgegeben wurde und einem ganz anderen Konzept folgt. Im »Eisler« wurde einfach so dahererzählt, was man in den verschiedenen Epochen der Philosophie zum Beispiel unter dem Wort »Freiheit« verstanden hat – bis in die Gegenwart des frühen 20. Jahrhunderts hinein.
Was aber Freiheit wirklich bedeutet, meint »Der Eisler« zu wissen. Er urteilt von einer höheren Warte, in diesem Fall der Warte des Neukantianismus. Dieser Standpunkt, von dem aus die Geschichte der Begriffe betrachtet wird, ist selbst ungeschichtlich. Er reflektiert nicht, dass er selbst in der Geschichte der von ihm betrachteten Begriffe steht und dass es für Freiheit nicht gleichgültig ist, was für einen Begriff wir von ihr haben.
Aber gibt es nicht viele Philosophen, vor allem in der Neuzeit, welche die Geschichte des Denkens als auf sie selbst zulaufend darstellen und sich selbst als Kulminationspunkt einer Geschichte der Wahrheit verstehen? In der nächsten Generation tritt dann ein neuer Philosoph auf und relativiert seinen Vorgänger.
»Die Füße derer, die dich hinaustragen werden, stehen schon vor der Tür«, kann man sagen. Nun gehört zur tragischen Situation des Philosophen, dass er einerseits nicht umhin kann, so zu denken. Denn jeder, der selbst denkt, kann sich ja nur als eine Art Abschluss denken. Sonst müsste er das, was er jetzt denkt, aufgeben zugunsten dessen, was kommt. Was aberkommt, weiß er ja noch gar nicht. Also wie kann er dann sich selbst schon relativieren mit Bezug auf einen Abschluss, auf einen reiferen Gedanken, den er noch gar nicht hat?
Um sich selbst ernst
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