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Ueber Gott und die Welt

Ueber Gott und die Welt

Titel: Ueber Gott und die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Spaemann
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behandelt, und so wurden wir uns schnell einig, dass ich auf seine Replik noch einmal antworte. Habermas hat mich eigentlich immer mit Glacéhandschuhen angefasst und ich ihn auch. Seine Invektiven richteten sich eher gegen Lübbe.
    Über meinen Aufsatz »Moral und Gewalt« hat sich Habermas dann nicht mehr geäußert. In ihm ging es mir um die Frage, ob und wenn ja unter welchen Bedingungen Gewalt moralisch gerechtfertigt werden kann, sei es durch das Ziel einer besseren Welt oder das der Erhaltung der bestehenden. Wo endet das Gewaltmonopol des Staates? Ich entwickelte Kriterien, aufgrund deren Erfüllung ein Staat Loyalität und Gesetzesgehorsam verlangen kann: 1. Freiheit für Kritik amstaatlichen Handeln. 2. Möglichkeit legaler Verfassungsänderung. 3. Auswanderungsfreiheit.
    Eine Bedingung für moralisch vertretbare Gewaltanwendung ist, dass das Ziel keine Zukunftsutopie ist, sondern dass die Gewalttäter ein begrenztes Ziel haben, dessen Erreichung klar definiert ist und den sofortigen Friedenszustand wiederherstellt. Prototyp einer nicht juristisch, aber unter Umständen moralisch gerechtfertigten Gewalt ist die Sezession eines Gebietes mit dem Ziel der Gründung eines neuen Staates.
    Für sehr gefährlich hielt ich immer den Versuch der »Friedensforscher« in den sechziger Jahren, alle ungerechten Strukturen »strukturelle Gewalt« zu nennen und damit jede Gewalt im Dienst der Gerechtigkeit als Gegengewalt zu rechtfertigen. Das nämlich wäre das Ende jeglicher Friedensordnung. Es wäre der konfessionelle Bürgerkrieg als Dauerzustand.
    Praktische Philosophie, schrieb ich damals, hat es mit dem Handeln unter dem Aspekt seiner intersubjektiven Rechtfertigung zu tun. Mein Schlusssatz hatte die Rechtfertigungen der Protagonisten der Protestbewegungen im Auge: »Gewalt als Geburtshelfer des Neuen, das kann in Wirklichkeit nur heißen, dass das Neue auch nur wieder eine Spielart des Alten ist.«
    Mit diesen Argumenten erhielten Sie bei linken Intellektuellen gewiss wenig Zustimmung. Im Jahr 1972 nun wurden Sie an die Universität München berufen. Waren dort die Verhältnisse für Sie friedlicher als in Heidelberg?
    Ja, was man schon daraus ersehen kann, dass ich in München bis zu meiner Emeritierung 1992 geblieben bin. Gut, es gab auch hier institutsinterne Querelen, Spätfolgen der 68er-Protestbewegung, aber sie führten nicht zu ernsthaften Problemen.
    In der philosophischen Fakultät traf ich auf Wolfgang Stegmüller, den damals prominentesten Vertreter der AnalytischenPhilosophie in Deutschland. Wir pflegten ein friedliches und respektvolles Nebeneinander. Stegmüller schrieb ein Buch nach dem anderen. Er war ein verantwortungsbewusster Chronist der wichtigsten Gedanken und Bewegungen der analytischen Schule jener Tage. Seine Option für die Analytische Philosophie war ihm immer als Option bewusst, und er versuchte nicht, sie machtpolitisch durchzusetzen.
    Ich erinnere mich noch an eine Diskussion im Fachbereich Philosophie, als von Karl Jaspers die Rede war. Irgendjemand meinte beiläufig, aber Jaspers sei doch nicht ernst zu nehmen als Philosoph. Stegmüller widersprach: In einem Band über die großen Philosophen der Welt werde Jaspers unter die größten gereiht. Und schaue man sich die Häufigkeit an, mit der Jaspers’ Bücher und Aufsätze zitiert werden, dann müsse man ihn ernst nehmen. Er rechtfertigte seine Intervention mit den Worten: »Bei solchen Dingen lege ich rein formale Kriterien zugrunde.« Auf dieser Basis war friedliche Koexistenz möglich. Meinem Buch »Die Frage Wozu« hat er in einem seiner wissenschaftstheoretischen Werke ein kritisches Kapitel gewidmet.
    Also kurz, es war eine erfreuliche Zeit in München. Und meine Rangeleien mit der »marxistischen« Gruppe am Institut machten mir eher Spaß. Wir haben Flugblätter gegeneinander geschrieben. Meine waren besser als die ihren. Einmal habe ich mit dem Anführer der Gruppe eine Podiumsdiskussion vor überfüllter Aula gemacht mit strengen, zuvor vereinbarten Regularien, zu denen Nichtintervention des Publikums gehörte.
    Hatten Sie vor, in München eine Spaemann-Schule zu gründen?
    Nein. So etwas nimmt man sich nicht vor. Es ergibt sich oder nicht. Es gibt einen Kreis von Freunden, die durch mich zumphilosophischen Denken gekommen sind. Aber eine »Schule«? Philosophie ist ein anarchisches Unternehmen.
    Aber Sie hatten Assistenten, die an Ihrem Lehrstuhl mitarbeiteten.
    Ja, zuerst zwei und dann drei Assistenten. In Stuttgart war

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