Ueber Gott und die Welt
beworben. Auf der Berufungsliste stand ich übrigens nicht einmal an erster Stelle, sondern Heinrich Rombach, ein Schüler von Max Müller. Er lehrte seit 1964 an der Universität Würzburg und gab ab 1970 das »Philosophische Jahrbuch« mit heraus. Müller hatte großen Wert darauf gelegt, ihn als seinen Nachfolger nach München zu holen. Rombach wollte allerdings in Würzburg wohnen bleiben, was ihm das Ministerium nicht zubilligte. So bekam ich schließlich den Ruf und begann im Sommersemester 1973 mit meiner Lehrtätigkeit an der Ludwig-Maximilians-Universität. München war überraschend auf mich zugekommen. Ich hatte keine Kontakte zur Universität, nur die Erinnerung an meine dortige Studentenzeit.
In dieser Zeit um Ihre Berufung nach München, also im Jahr 1972, sind Sie mit zwei Aufsätzen einem breiteren Publikum bekannt geworden: mit dem Artikel »Utopie der Herrschaftsfreiheit« im »Merkur«, später mit dem Beitrag »Moral und Gewalt« in dem von Manfred Riedel herausgegebenen Band »Rehabilitierung der praktischen Philosophie«, der der philosophischen Debatte in Deutschland eine neue Wendung gab. Wollten Sie jemals so etwas wie ein praktischer Philosoph sein?
Nein, ganz im Gegenteil. Dass ich mich immer wieder mit ethischen und politischen Themen befasste, war den damaligen Auseinandersetzungen mit den herrschenden ideologischen Thesen geschuldet, vor allem aber der öffentlichen Wirkung der »Frankfurter Schule«, und zwar nicht mehr in ihrer von Horkheimer und Adorno geprägten Form, sondern in der Version, die sie durch Jürgen Habermas angenommen hatte.
Dessen Idee vom »herrschaftsfreien Diskurs« fand in intellektuellen Kreisen damals viel Zustimmung – nicht die meinige. Ich hielt es nicht für überzeugend, den Begriff der praktischen Vernunft durch den des idealen Diskurses zu ersetzen. Der rationale Diskurs setzt nämlich Vernunft immer schon voraus und nicht umgekehrt, woran der »Transzendentalpragmatiker« Apel übrigens ausdrücklich festhielt. Der Diskurs hat die Funktion der »gesetzprüfenden Vernunft«, wie es bei Hegel heißt, nicht aber die einer Norm kreierenden Instanz. Im Unterschied zu idealen Diskursen in einer utopischen Welt sind reale Diskurse, wenn sie handlungsrelevant sein sollen, durch Bedingungen eingeschränkt. Erstens muss ihre Freiheit durch herrschaftliche Sicherungen abgesichert werden, also etwa durch die Polizei. Zweitens aber ist der Diskurs an sich unendlich, und jeder neu hinzukommende Teilnehmer muss das Recht haben, einen zuvor erzielten Konsens erneut mit neuen Argumenten in Frage zu stellen.
Wann Diskursteilnehmer vom Reden zum Handeln übergehen, so dass eine eventuelle Fortsetzung des Diskurses nicht mehr handlungsrelevant sein kann, das ist und bleibt eine Sache der Entscheidung. Habermas und Apel aber wollten als Transzendentalphilosophen den Diskurs nicht als empirischen, sondern als »idealen«, also kontrafaktisch, verstanden wissen. Auch ein diskursiv zu erzielender Konsens, der von allen vernünftig und gerecht Denkenden antizipiert wird, ändert nichts daran. Wer definiert vernünftiges und gerechtes Denken? Wir können es drehen und wenden, wie wir wollen, der Diskurs kann die Vernunft nicht ersetzen, sondern muss sie voraussetzen.
Eine meiner Fragen galt dem Problem der »guten Herrschaft«: Ist sie überhaupt möglich, oder muss man das Gute oder Richtige als das definieren, was sich im zwanglosen Diskurs durchsetzt? Ich fand, dass ein herrschaftsfreier Diskursimmer nur stattfinden kann, wenn ein Mächtiger ihn möglich macht und den Raum der Freiheit des Diskurses absichert.
Der Idee des »herrschaftsfreien Diskurses« schien mir das eigentlich Politische zu eliminieren. Man kann das Politische nicht selbst im Diskurs auflösen. Denn dann setzt man sich der Unfreiheit und Willkür aus. Vor Augen hatte ich das bereits angesprochene Heidelberger Erlebnis einer Rektoratswahl. Sie wurde von linken Studenten gesprengt und sollte unter Polizeischutz wiederholt werden.
Tugendhat und andere meinten, unter Polizeischutz könne man nicht zwanglos abstimmen. Ich antwortete ihnen, dass ohne einen machtgeschützten Raum kein zwangloser Diskurs möglich ist.
Im Dezemberheft des »Merkur« erschien dann der Briefwechsel zwischen Ihnen und Jürgen Habermas. Hatten Sie das geplant?
Habermas antwortete auf meinen Artikel »Die Utopie der Herrschaftsfreiheit« mit einer Replik: »Die Utopie des gerechten Herrschers«. Wir haben uns immer freundlich
Weitere Kostenlose Bücher