Ueber Gott und die Welt
niemand genötigt werden. Ein solcher Gebrauch wird uns nur durch die Wirklichkeit dringend nahegelegt. Platon verwendete im Dialog »Timaios« die Metapher des Überredens, um das Einwirken der Vernunft auf die Notwendigkeit sprachlich auszudrücken, so dass die Dinge sich nach dem »Besten« orientieren.
Bestätigt die Verlegenheit, das teleologische Denken systematisch zu rekonstruieren, nicht die Abkehr von ihm?
Der englische Philosoph Francis Bacon hat um 1600 geschrieben: »Die Betrachtung natürlicher Prozesse unter dem Aspekt ihrer Zielgerichtetheit ist steril, und wie eine gottgeweihte Jungfrau gebiert sie nichts –
tamquam virgo Deo consecrata, quae nihil parit
. Das heißt: Das Aufsuchen der
causa finalis
, die Betrachtung der Dinge unter dem Aspekt ihrer Ziel- oder Zweckgerichtetheit, bringt uns nicht weiter. Er kritisierte also das teleologische Denken nicht deswegen, weil es sich nicht systematisieren ließe, sondern weil es nutzlos ist.
Die moderne Wissenschaft schloss sich später nicht nur dieser Ansicht an, sondern fasste den Entschluss, auf jede teleologische Betrachtung und Interpretation der Wirklichkeit zu verzichten, die Entteleologisierung zum Prinzip zu erklären. Ihr geht es dabei gar nicht um Systematik, sondern darum, welchen Nutzen Menschen aus der Beobachtung der Wirklichkeit oder Natur gewinnen können. Die teleologische Betrachtung dagegen sei kontemplativ, vermehre nicht die Herrschaft über die Natur. Dieser Herrschaftswille über die Natur ist das leitende Interesse moderner Naturwissenschaft, nicht das Ziel, teleologisches Denken in eine streng systematische Form zu bringen. Nicht eine theoretische Aporie, sondern ein lebenspraktisches Motiv bewegt die Abkehr von der Teleologie.
Aber ein lebenspraktisches Motiv ist auch leitend bei dessen Rückgewinnung. Nun ist mir frühzeitig aufgegangen, was Bacon und andere zu Beginn der Neuzeit sich noch gar nicht vorstellen konnten, was aber im 20. Jahrhundert offenbar wurde: Dieses Interesse an der Naturbeherrschung wirkt nicht nur auf die Betrachtung des Menschen selbst zurück, sondern führt zu Eingriffen in dessen natürliche Konstitution.
Das ethische Problem der Folgen naturwissenschaftlicher Naturbeherrschung hat Sie in den darauffolgenden Jahrzehnten immer wieder zu öffentlichen Wortmeldungen veranlasst. In Ihrer Vorlesung und der späteren Buchveröffentlichung geht es nun aber nicht nur um die Geschichte, wie das teleologische Denken außer Kurs kam, sondern auch auf welch wackeligen Füßen dessen Überwindung, also das anti-teleologische Denken in den heutigen Naturwissenschaften steht. Wird damit nicht ein wichtiges theoretisches oder philosophisches Problem aufgeworfen?
Von Nicolai Hartmann bis Wolfgang Stegmüller lautet die These: Nur menschliches Handeln ist zielgerichtet, denn nur der Mensch setzt sich Zwecke. Aber eben das stimmt nicht. Wir können uns Zwecke nur setzen, weil wir Ziele bereits in uns vorfinden, so etwa den Durst. Trinken ist eine freie Handlung. Unsere Freiheit besteht darin, uns das natürliche Telos zu Eigen zu machen. Biologie und Neurologie können das, was in einem Hund vorgeht, wenn er zur Schüssel läuft, unter Absehung der subjektiven Durstempfindung beschreiben. Aber wir würden uns keinen Hund halten, wenn wir nicht sagen dürften, er liefe, »um zu fressen«, so wie auch wir in die Küche gehen, um unseren Hunger zu stillen. Der natürliche Trieb ist ein ausreichender Grund für unsere Handlungen, ein
prima facie
-Grund, der allerdings unter Umständen hinter wichtigeren Gesichtspunkten zurücktreten muss.
Wenn jemand mich fragt: Warum isst du?, dann antworte ich: Weil ich Hunger habe, und wenn er als Anhänger Humes die Frage wiederholt und sagt: Dass du Hunger hast, habe ich verstanden, aber ich wollte wissen, warum du isst – dann kann ich nur sagen: Wenn dir diese Antwort nicht reicht, eine andere habe ich nicht.
Ein anderes Beispiel wird im ersten Buch des Platon-Dialogs »Politeia« erwähnt. Dort kontert Thrasymachos eine Bemerkung des Sokrates, dass, wie schon Homer sage, Könige wie Hirten seien, die für ihre Völker sorgen, mit dem Satz: »Was macht denn der Hirte? Er gibt doch zum Schluss die Schafe zum Schlachten ab.« Ihm widerspricht Sokrates, indem er betont, dass das Wohl der Schafe und das Wohl des Menschen nicht konträr sind. Die Menschen halten sich Schafe natürlich zu ihrem Nutzen. Aber sie gehen davon aus, dass es, wenn es den Schafen gut geht, auch ihnen gut
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