Ueber Gott und die Welt
gut besucht. Eine Ausnahme war die Vorlesung »Über die Bedeutung der Worte ›Ist‹, ›Existiert‹ und ›Es gibt‹«, an der mir selbst besonders gelegen war. Sie fiel wohl aus dem Rahmen meines übrigen Vorlesungsprogramms zu sehr heraus, leider. Am liebsten hätte ich nur solche Vorlesungen gehalten.
Dagegen werde ich immer wieder gedrängt, meine Leibniz-Vorlesung als Buch herauszugeben. Für mich wäre daseine besondere Mühe, weil ich meine Vorlesungen fast immer frei, und das heißt bei mir: nicht druckreif gehalten habe, so dass sie nun nur in Tonbandnachschriften vorliegen. Im Übrigen war ich in den Diskursen der sechziger und siebziger Jahre philosophisch nicht sehr präsent.
Erst gegen Ende meiner Lehrtätigkeit und nach meiner Emeritierung begannen meine Gedanken im Besonderen zum Begriff »Person« einen breiteren Kreis von Menschen in vielen Ländern, darunter auch Japan und China, zu interessieren. Eine wachsende Zahl von Dissertationen in aller Welt setzte sich mit ihnen auseinander oder stellte sie in eigener Interpretation vor. Die »Moralischen Grundbegriffe«, Rundfunkvorträge, die ich – ohne den Gedanken an Veröffentlichung – geschrieben habe, wurden in 14 Sprachen übersetzt.
Ich griff die Themen jener Zeit auf, aber nicht in deren Geist. Mit scheint es die Aufgabe der Philosophie zu sein, »den Nomos des gegenwärtigen Daseins, des Bewusstseins der Zeit« – wie ich im Vorwort der Reclam-Ausgabe meiner »Philosophischen Essays« geschrieben habe, »aus einem Horizont zu begreifen, der nicht durch dieses Bewusstsein definiert ist«. Jeder entdeckt in sich selbst, wie sehr er das Kind seiner Zeit ist.
Aber Jean Paul fragt einmal: »Soll man Kinder für ihre Zeit erziehen oder gegen ihre Zeit?«, um dann zu antworten: auf jeden Fall gegen ihre Zeit. Denn die Zeit ist so mächtig, dass sie schon selber dafür sorgt, jeden in ihrem Gleise laufen zu lassen. Aber wenn ein junger Mensch frei werden soll, dann muss man ihn gegen die Zeit und ihre Vorurteile erziehen.
Nennen Sie ein Beispiel.
Nehmen wir das Vorurteil, man dürfe im Denken und Sprechen keine Anthropomorphismen zulassen. Nachdem ich lange darüber nachgedacht habe, kam ich zu dem Schluss,nicht zuletzt unter dem Einfluss von Nietzsche, dass man den Anthropomorphismus verteidigen müsse. Ich sage, der Hund hat Hunger, weil ich weiß, was Hunger ist. Ich weiß zwar nicht, wie es ist, ein Hund zu sein oder eine Fledermaus, um an den Titel eines wichtigen Aufsatzes von Thomas Nagel zu erinnern, »What Is It Like to Be a Bat?« Aber irgendetwas mit uns Menschen Ähnliches muss im Hund oder der Fledermaus vorgehen, wenn wir ihr Verhalten verstehen wollen. Und diese Einsicht hat mich zur Überzeugung gebracht, Anthropomorphismus als einen legitimen Zugang zur Wirklichkeit zu betrachten. Ich begreife einfach mehr, wenn ich anderes Lebendiges nach Analogie zu unserer Selbsterfahrung verstehe.
Nietzsche geht so weit zu sagen, dass sogar die Vorstellung von einem Ding, das bei wechselnden Eigenschaften mit sich identisch ist, als Anthropomorphismus zu bezeichnen ist. Subjekte verstehen sich als mit sich identische Einheiten, die wechselnde Zustände durchlaufen. Sehen wir dieses Sofa hier: Mal ist ein Fleck darauf, mal nicht. Aber es bleibt dasselbe Sofa. Diese Betrachtung eines Sofas, ist, so sagt Nietzsche, anthropomorph, also eigentlich illegitim. Aber warum illegitim? Die anthropomorphe Sicht entspricht dem Interesse des Menschen an Beheimatung in der Natur. Ihr entgegengesetzt ist die anthropozentrische Sicht, die sich dem Interesse an Unterwerfung und Herrschaft verdankt. Beide Interessen sind konstitutiv für den Menschen.
Sie sprechen davon, dass Ihre Hinwendung zur teleologischen Betrachtung Sie im Denken freier gemacht habe. Die Struktur Ihres Argumentierens unterscheidet sich in der Tat von derjenigen der Neo-Aristoteliker oder Neo-Thomisten des 20. Jahrhunderts. Wie würden Sie Ihre Art zu philosophieren beschreiben?
Mich hat immer beunruhigt, wenn jemand das, was ich zu sehen glaube, nicht sieht oder das, was ich denke, für falsch hält, wenn mein Argument ihn nicht überzeugt. Der Reflex der Schulverteidigung liegt mir fern. Ich denke nicht, einer, der anders denkt, sollte den Mund halten, sondern ich möchte verstehen, warum er mich nicht versteht.
Vernunft ist mit Universalitätsanspruch identisch. Wenn etwas vernünftig ist, muss es eigentlich jedem einleuchten. Dass es das nicht tut, kann drei Reaktionen
Weitere Kostenlose Bücher