Ueber Gott und die Welt
und Wohlwollen« habe ich ein Kapitel über den Hedonismus geschrieben, in dem diese Frage behandelt wird. Epikur schreibt: Ein Mensch kann nicht wirklich glücklich sein ohne gute Freunde. Wie aber bekommt man gute Freunde? Nur dadurch, dass man selber ein guter Freund ist. Ein guter Freund muss bereit sein, sein eigenes Leben notfalls für den Freund zu opfern.
Das erinnert an einen Satz des Evangeliums: Niemand hat eine größere Liebe, als wer sein Leben hingibt für seine Freunde. Epikur schließt seine Überlegungen damit: Wenn einer nicht bereit ist, sein Leben hinzugeben für seine Freunde, wird er nicht die besten Freunde gewinnen und wird auch nicht im höchsten Sinne glücklich sein. Wird der Eudämonismus oder Hedonismus zu Ende gedacht, kommt er zum gleichen Ergebnis wie das Evangelium.
Wie sieht Aristoteles die Beziehung von Ethik, die das Glück für den einzelnen Menschen intendiert, und Politik, die das den Bürgern gemeinsame Gute im Auge hat?
Für Aristoteles gehört beides zusammen. Übrigens ordnet er nicht alles zweckrational der Vorstellung der Eudämonie unter. Es gibt für ihn Gebote, an deren Evidenz er appelliert. Er schreibt zum Beispiel: Wenn jemand sagt, man dürfe die eigene Mutter töten, dann verdiene er kein Argument, sondern Zurechtweisung. Das Ethische des Aristoteles ist eingebettet in Polis und Sitte. Dass es so etwas wie gute Sitten gibt, wird vorausgesetzt.
In unserer Rechtsordnung ist das übrigens ähnlich. Es gibt den Begriff sittenwidriger Verträge. Da wird auch vorausgesetzt, dass man weiß, was sittenwidrig ist. Zur Sitte gehört, dass sie nicht begründungspflichtig ist. Wer sie kritisiert – und das ist möglich –, trägt die Begründungspflicht. Anders wäre menschliches Zusammenleben nicht möglich.
Das Sittliche nun im Kant’schen Sinne, also die Tugend, ist eingebettet in ein Konzept der Eudämonie, das seinerseits wieder eingebettet ist in die Polis.
Eudaimonia
, Glückseligkeit ist nicht einfach Wellness, sondern gelingendes Leben und Bewusstsein dieses Gelingens. Das Leben des Einzelnen kann nur gelingen im Rahmen der Polis, es sei denn, er ist ein Philosoph. Ethik ist Teil der politischen Philosophie.
Was unterscheidet den Philosophen vom normalen Bürger der Polis?
Aristoteles geht von drei Lebensweisen aus: einmal das ganz dem Genuss gewidmete Leben des Privatiers, dann die politische, die Lebensweise des Bürgers, der unterschiedliche Tugenden ausbildet – davon handeln seine Ethiken und das Buch über die Politik –, und schließlich die kontemplative Existenz des Philosophen. Die zweite ist für Aristoteles die eigentlichmenschliche, die dritte nennt er göttlich, das heißt, der Mensch kann sie nur zeitweise praktizieren. Der Philosoph ist Bürger zweier Welten.
Später haben die Kirchenväter diese Dreiteilung aufgebrochen. Für sie ist jeder Mensch zur Anschauung Gottes berufen, und die Polis hat aufgehört, der letzte Horizont des gelingenden Lebens zu sein. Aber auch Augustinus kennt zwei Lebensweisen, das
secundum deum vivere
, das »Nach-Gott-Leben«, und das
secundum hominem vivere
, das »Nach-dem-Menschen-Leben«. Letztere lehnt er ab. Warum? Man könnte doch sagen, sie ist »humanistisch«, irgendwie dem Menschen gemäß. Aber Augustinus sagt: Der Mensch lebt nur menschengemäß, wenn er seinen Blick über sich hinaus richtet. Wenn er auf sich selbst schaut, um herauszubekommen, was das glückliche Leben ist, dann misslingt es. Der Mensch kann eigentlich nur unter seiner Möglichkeit bleiben oder über sich selbst hinausgehen. Zu Letzterem ist jeder berufen, nicht nur eine kleine Schar von Philosophen.
Hat die kosmologische Tendenz des Christentums, sein Anspruch, für den bekannten Erdkreis, die Oikumene, zu gelten, die polisorientierte Betrachtung des Aristoteles obsolet werden lassen?
Man interpretiert heute Aristoteles gern als Hermeneutiker der griechischen Polis, der einer partikulären Perspektive verhaftet sei. Aber das ist ungerechtfertigt. Denn bei ihm spielt der Begriff der menschlichen Physis eine große Rolle und das ist ein universalistischer Begriff.
Als die Griechen im 5. Jahrhundert v. Chr. darüber nachdachten, wie verschiedenartig die Lebensweisen der Menschen in der Welt sind, hatten sie schon längst entdeckt, dass es nicht nur griechische Poleis auf der Welt gab, sondern auch persische und orientalische Gesellschaften. Daraus aber zogensie keine relativistische Konsequenz, sondern haben gefragt: »Gibt es
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