Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ueber Gott und die Welt

Ueber Gott und die Welt

Titel: Ueber Gott und die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Spaemann
Vom Netzwerk:
vielleicht einen Maßstab, an dem gemessen man noch einmal die verschiedenen Sitten beurteilen kann?« Von besseren oder schlechteren Staaten kann man ja nur sprechen, weil man gute und schlechte Sitten unterscheiden kann.
    Aristoteles kennt zwar eine große Spielbreite dessen, was mit der Natur des Menschen vereinbar ist. Die Polis steht für ihn höher als die orientalischen Staaten, vor allen Dingen Persien, weil in ihr die Natur des Menschen zur freieren Entfaltung kommt.
    Physis ist für ihn ein Rahmen, der eine Vielfalt von Verfassungen möglich macht. Aber eben nicht alle. Aristoteles, obwohl Hermeneutiker des griechischen way of life, ist dennoch Universalist, denn die Natur des Menschen ist überall dieselbe. Einen positiven Kodex aus der Natur des Menschen abzuleiten, wie es die Aufklärer des 18. Jahrhunderts taten, ist ihm fremd.
    Muss denn die partikulare Perspektive die universale stets mit bedenken?
    Darauf will ich mit einem Beispiel antworten: Jemand bekennt, dass ihm das eigene Land über alles in der Welt geht. Er muss sich fragen lassen, ob er es billigt, dass auch Bürger anderer Länder ihr eigenes Land allen anderen vorziehen. Der Patriot ehrt auch den Patriotismus anderer. Wer das nicht tut, ist ein Nationalist und Chauvinist.
    Bert Brecht verfasste für die DDR eine Nationalhymne, die sich allerdings nicht gegen diejenige von Johannes R. Becher durchsetzte. Über Deutschland heißt es da an einer Stelle: »Und das Liebste soll’s uns heißen, wie den anderen ihres auch.« Gegenseitige Anerkennung der Partikularismen ist eine Form des Universalismus.
    Mit dem Titel »Glück und Wohlwollen« aktualisieren Sie einen aus dem Gebrauch gekommenen Begriff, das Wohlwollen,
benevolentia
. Wie steht er im Zusammenhang mit der Debatte über Utilitarismus und teleologische Ethik?
    Was das Wohlwollen betrifft, so ist es gestuft. Ich kann nicht allen Menschen das gleiche Wohlwollen entgegenbringen, sondern es gibt einen
ordo amoris
, der von Nähe und Ferne bestimmt ist. Es gibt den Nächsten und den Ferneren, wobei auch der Fernste noch als Mitglied der Menschheitsfamilie ein Verwandter ist.
    Mir ging es darum, diesen Aspekt gegenüber dem modernen Utilitarismus herauszuarbeiten, der sich auch teleologische Ethik nennt – damit ist natürlich keine Ethik gemeint, die der teleologischen Struktur der menschlichen Natur entspricht, sondern eine, die den folgenden Standpunkt vertritt: Handle so, dass deine Handlung den Wertgehalt der Welt optimiert. Dieses Postulat der Optimierung der Welt definiert die gute Handlung durch einen universalen Zweck, durch das »Wohl des Universums«. Nicht jede utilitaristische Ethik ist bloß am Lustgewinn interessiert. Darum spricht man auch vom »ideal utilitarianism«.
    Lange Zeit haben sich katholische Moraltheologen diese utilitaristische Ethik zu eigen gemacht. Sie wollten damit der Vorstellung entgehen, dass es Gebote, vor allem dass es Verbote gibt, die ausnahmslos gelten, man könnte auch sagen: kontextlos sind. Die Moraltheologen wollten das loswerden und plädierten deshalb für eine Ethik, in der alles nur instrumentell, unter dem Aspekt der Optimierung der Welt betrachtet wird.
    Das forderte mich heraus. Meine Überzeugung war: Es gibt Dinge, die der Mensch nicht tun darf und deshalb immer unterlassen muss – und für die Folgen einer solchen Unterlassungmuss er keine Verantwortung übernehmen. Die Nationalsozialisten stellten einen Polizisten vor die sadistische Alternative, eigenhändig ein zwölfjähriges jüdisches Mädchen zu erschießen oder in Kauf zu nehmen, dass zehn andere Juden erschossen würden. Der Polizist schoss. Er glaubte, die Verantwortung zu haben für den Tod der anderen, wenn er nicht geschossen hätte. Anschließend landete er in der Psychiatrie. Nein, er hätte diese Verantwortung nicht gehabt. Er hatte in diesem Augenblick nur die Verantwortung für das Kind. Die sowjetischen Psychiater, die Dissidenten in psychiatrische Anstalten überwiesen, glaubten, sie hätten eine Verantwortung für die Sowjetunion, die ihrer ärztlichen Verantwortung gegenüber den Patienten übergeordnet sei. Konkrete Verantwortung kann es nur geben, wenn sie zugleich von anderen Verantwortlichkeiten dispensiert.
    Warum überfordert der »ideal utilitarianism« den handelnden Menschen?
    Unter normalen Bedingungen hat ein Mensch immer nur bestimmte Verantwortungen zu tragen, und er kann das nur, wenn er anderweitig entlastet ist. Nehmen wir den Chirurgen, der

Weitere Kostenlose Bücher