Ueber Gott und die Welt
mir vom Verleger nahegelegt, der meinte, es verkaufe sich so am besten. Ich hätte es lieber »Vernünftige Gründe, an Gott zu glauben« genannt. Gibt es ein rationales Argument, dass dieser Glaube vernünftig ist? Darauf habe ich eine Antwort versucht.
In Ihrem Argument geht es um eine grammatikalische Struktur, das Futur II oder »Futurum exactum«. Wir können sagen, unser Gespräch wird einmal gewesen sein, nämlich dann, wenn sich einer in Zukunft unseres dann vergangenen Gesprächs erinnert. Oder bedarf es dieser Bedingung, nämlich, dass sich jemand erinnert, gar nicht?
Wenn jemand sagt, das »Gewesensein« ist unabhängig von einem Erinnern, dann meint er, etwas ist gewesen, auch wenn sich niemand daran erinnert. Und das heißt, das »Gewesensein« besitzt einen ontologischen Status, der aber irgendwie ganz in der Luft zu hängen scheint. Es gehört nämlich zu jeder Vergangenheit eine Gegenwart: Für diese Gegenwart ist diese Vergangenheit tatsächlich Vergangenheit. Für diese Gegenwart ist das Vergangene vergangen. Wenn es keine Gegenwart mehr gibt, gibt es auch keine Vergangenheit. Mein Argument geht dahin zu sagen, wenn das Gewesene als Gewesenes ewig bleibt, dann muss das Gewesensein das Gewesensein einer Gegenwart, eines Präsens sein. Präsens aber gibt es nur für ein Bewusstsein oder für ein Leben.
Ich kann mir also unter einem Gewesensein, das niemandes Vergangenheit ist, nichts denken. Nun gehört aber das Futurum exactum unzertrennlich zu jeder präsentischen Aussage. Was jetzt ist, wird für immer gewesen sein. Aber wo ist der Ort dieses Gewesenseins, dieses Aufgehobenseins? Da die menschliche Erinnerung einmal nicht mehr sein wird, muss es ein zeitunabhängiges, ein göttliches Bewusstsein geben.
Um es noch einmal kurz zu sagen: Künftiges Gewesensein ist ein Modus jedes zeitlichen Ereignisses, ohne den wir seine Wirklichkeit nicht denken können. Aber ohne das Aufbewahrtsein in einem Bewusstsein tritt an die Stelle des Gewesenseins der Schwund. Aber der Schwund des Gewesenseins zieht auch die Gegenwart mit sich und macht sie unwirklich. Der Buddhismus versucht, das zu denken.
Ich halte es da mit Alfred North Whitehead. Er schreibt in seinem Buch »Process and Reality«, er habe eine Vorentscheidung getroffen, die aber nicht willkürlich sei. Denn er könne sich Folgendes nicht anders vorstellen: Zu allem Wirklichen gehöre ein Subjektpol und ein Objektpol. Auch das kleinste Elementarereignis hat ein Moment von Subjektivität.
Das, was ich vorhin mit dem Begriff »Anthropomorphismus« verteidigt habe, treibt Whitehead auf die Spitze. Er sagt, es gibt nicht etwas, das
nur
Objekt ist: Entweder gibt es den Subjektpol, den Menschen, den Beobachter außerhalb der Objekte, die er vor sich hat, oder das Objekt ist selbst von der Art, dass es eine subjektive und eine objektive Seite besitzt. Er entscheidet sich für die zweite Möglichkeit und geht ja sehr weit in seinem Anthropomorphismus.
Er benutzt bei den sogenannten »events« Begriffe wie Streben und Befriedigung, selbst bei den elementarsten Miniereignissen. Man könnte ja sagen, Streben und Befriedigung gibt es nur bei Lebewesen mit zentralem Nervensystem. Whitehead aber formalisiert diese Begriffe so sehr, dass er sie dann auch auf Elementarereignisse anwenden kann.
Wann haben Sie sich mit Whitehead beschäftigt?
Er hat mich früh angezogen, aber ich habe immer einen Bogen um ihn gemacht. Das war bei Wittgenstein ganz anders. Den gab es für mich, seit ich denken kann. Aber Whiteheads»Process and Reality« musste ich doch einmal lesen und fand es dann ein wunderbares Buch.
Ich habe Anfang der achtziger Jahre in München ein ganzes Semester Vorlesungen über dieses Buch gehalten. 1983 erschien von mir ein Aufsatz »Whitehead oder: Welche Erfahrungen lehren uns die Welt verstehen?«, der jetzt wieder im ersten Band von »Schritte über uns hinaus« abgedruckt wurde.
Noch eine Bemerkung zu Whitehead: Er hat zusammen mit Bertrand Russell das Standardwerk »Principia Mathematica« geschrieben. Danach trennten sich ihre Wege. Whitehead schreibt dann einmal an Russell: »Sie opfern lieber Ihren Gegenstand, wenn Sie mit Ihrer Methode nicht weiterkommen, als dass Sie die Methode änderten.«
Wer Ihre Aufsätze, vor allem die naturphilosophischen, kennt, weiß um die Bedeutung, die Whitehead für Sie hat. Ein anderer Autor, Friedrich Nietzsche, spielt ebenfalls eine große Rolle. Sie zitieren ihn oft und offenbaren eine intensive und
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