Über jeden Verdacht erhaben
sie der Schleuse und den Fahrstühlen zustrebten. Bis dorthin durften sie mitkommen. Carl hatte ausdrücklich zu verstehen gegeben, daß er sich bei einem Besuch der Justizministerin nicht mit Sicherheitswachen blamieren wolle. Überdies hielt er an seiner alten Routine fest, das Wachhäuschen zu betreten, wo er sich seines Pistolenholsters entledigte und es zusammen mit der Waffe übergab, bis er das Gebäude wieder verließ. Das war eine Regelung, die der Sicherheitsverantwortliche der Firma höchst abenteuerlich gefunden hatte. Doch jetzt war der Wille des Generaldirektors gerade in diesem staatlichen Amt Gesetz. Carl hatte bei dem Gedanken nur geschnaubt, daß er mit umgeschnallter Waffe bei der Justizministerin und deren Sachverständigen einen Vortrag halten sollte. Es fiel ihm offenbar auch so schwer genug, vor den Augen der Justizministerin Gnade zu finden, doch er wußte nicht, warum das so war.
Vielleicht hatte er jetzt nur unter den Schnitzern früherer Säpo-Chefs zu leiden. Einige seiner Vorgänger waren alles andere als helle Köpfe gewesen. Wie auch immer: Es war unangenehm.
Sie hatte sich im übrigen schon verspätet. Mehr als eine Minute, stellte er mit einem Blick auf die Uhr fest.
In diesem Moment rauschte sie auf dem Weg zu ihrem Zimmer an ihm vorbei. Sie hatte ein paar Einkaufstüten in der einen Hand und ein Kind an der anderen. Sie sah ihn nicht einmal oder übersah ihn vielleicht absichtlich. Er stellte erstaunt fest, daß ihr ein langer Bisampelz um die Beine schlakkerte. Bisam? Bei wem wollte sie sich damit beliebt machen? Beim Volk? Bei Umweltschützern? Oder war es nur schlechter Geschmack? Sie kleidete sich überhaupt steif und eigenartig.
Zwei Minuten später gingen die Türen zu dem großen Vortragssaal auf, und ein Beamter führte ihn ins Zimmer. Dort begrüßte er zunächst die Justizministerin und deren Staatssekretärin. Diese wiederum stellten ihn einigen Abteilungsleitern vor. Danach ging er um den runden Tisch mit dem Loch in der Mitte herum und stellte sich abwartend der Justizministerin gegenüber hin; er vermutete, daß diese Tischordnung richtig war, auch wenn damit ein großer Abstand zwischen ihm und den übrigen entstand, die sich um ihre Chefin gruppiert hatten. Als sie sich setzte, setzte sich auch Carl. In diesem Moment fiel sein Blick auf eine schwedische Flagge hinter ihr, und er kommentierte sie spontan und scherzhaft:
»Müßte die nicht eigentlich dreizüngig sein?« fragte er mit einem Kopfnicken zur Flagge hin.
»Keine Ahnung. Damit haben früher die Konservativen das Haus gefüllt. Mein Vorgänger hatte eine in meinem Zimmer, und die habe ich rausgeworfen, aber wenn wir auch die da noch rauswerfen, würde man uns wohl mangelnden Patriotismus vorwerfen«, erwiderte sie schnell und ausdruckslos. Dann gab sie Carl zu verstehen, er könne beginnen.
In diesem Moment betrat ein Beamter auf leisen Sohlen das Zimmer und begann, die Vorhänge an den Fenstern zuzuziehen. Carl war so verblüfft, daß er mitten im Satz den Faden verlor, was die anderen Anwesenden mit kaum verhehltem Entzücken bemerkten.
»Verzeihung«, sagte er, »es ist vielleicht nicht so wichtig, aber was soll das?«
Er zeigte mit einem Kopfnicken auf den zuletzt zugezogenen Vorhang.
»Unsere Sicherheitsexperten sind dahintergekommen, daß Expressen oder der böse Feind unsere Lippenbewegungen vom Dach des Reichstagsgebäudes aus filmen könnten. Anschließend könnte sie einen Labiologen daransetzen, eine Abschrift zu machen«, erwiderte die Staatssekretärin fast munter.
»Labiologen?« sagte Carl verblüfft. »Verzeihung, aber das ist wirklich unmöglich. Das ließe sich nicht durchführen. Der Abstand ist zu groß. Außerdem haben wir ein Fenster dazwischen, und das Licht reicht nicht für genügend Schärfe aus. Unsere Münder wären nicht zu sehen, und so weiter.«
»Na ja, sei dem, wie dem wolle, fangen Sie jetzt bitte an!« sagte die Justizministerin und zwang Carl, erneut Anlauf zu nehmen. Er hatte sich entschlossen, direkt zu dem zu kommen, was er als wesentlich ansah. Daran wollte er sich halten und auf Fragen warten, falls es noch andere Themen gab, deren Erörterung hier gewünscht wurde.
»Die Säpo hat ihre Haltung zu der sogenannten Moslemfrage überprüft. Wir sind dabei, was Schweden angeht, zu anderen Schlußfolgerungen gelangt als etwa die Sicherheitsdienste in den USA und Frankreich. In Europa leben heute rund fünfzehn Millionen Moslems. Die meisten in Frankreich, und
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