Ueber Meereshoehe
anhalten?«, bat Paolo. Er schrie, damit der andere ihn hörte.
»Warum das denn?«, rief der Fahrer zurück.
Er war wohl so um die vierzig, wirkte aber gleichzeitig jünger und älter. Jünger wegen seines Fahrstils â der Waghalsigkeit, mit der er den Transporter mit nur einer Hand am Lenker durch die Kurven steuerte, des Tempos, zu dem er den alten IVECO nötigte, der zur Schau getragenen Gleichgültigkeit angesichts des Abgrunds, der sich nur wenige Zentimeter von der Wagentür entfernt auftat. Ãlter wegen seiner hängenden Augenlider, die auf mehr Nachtschichten in seinem Leben hindeuteten, als seiner Gesundheit zuträglich waren.
»Ich möchte den Platz tauschen«, rief Paolo.
»⦠sagte der Delinquent zum Henker«, antwortete der Fahrer. Er sagte das ohne jegliche Ironie, ja, mit monotoner Stimme, schaute dann aber â wieder einmal! â nach hinten, um sich zu vergewissern, ob sein Witz auch wahrgenommen worden war.
Luisa hatte von alldem nichts mitbekommen. Dort wo sie saÃ, war es zu laut, um dem Wortwechsel folgen zu können. Daher war sie überrascht, als der Wagen jetzt scharf abbremste. Wieder flogen die Köpfe der Insassen nach vorn bis auf den von Luisa, die in die andere Richtung saà und so heftig nach hinten gerissen wurde, dass sie sich fast den Hals verrenkte. Einige Sekunden lang geschah gar nichts, dann erst sah sie durch den Spalt zwischen den Türflügeln Paolo auftauchen.
»Verzeihung, Signora, aber wäre es Ihnen recht, wenn wir die Plätze tauschen?«
Luisa hob den Blick. Der Mann war groà und schlank, sein grau meliertes Haar dicht, sein Gesicht mit den schönen Zügen von den Narben einer früheren Akne gezeichnet. Er hatte sein Anliegen fast schüchtern vorgetragen, als ginge es um einen Gefallen für ihn selbst.
»Aber hier ist es furchtbar staubig«, antwortete Luisa verlegen.
»Eben darum«, erklärte er und hob dabei eine Schulter, wie um hinzuzufügen: Ich würde wirklich lieber hier sitzen.
»Wirdâs heute noch was?«
Der Fahrer sah ihnen über den Rückspiegel zu. Fast mehr neugierig als ungeduldig. Immer noch verwundert über dieses unerwartete Angebot, löste Luisa die Schnur, die die beiden Türflügel zusammenhielt, öffnete sie und sprang hinaus.
»Danke«, murmelte sie an Paolo gewandt.
Der nahm seinen neuen Platz ein, während sie um den Transporter herumlief, um beim Fahrer einzusteigen. Kaum war sie neben ihm, drehte er, indem er ihr direkt in die Augen sah, den Zündschlüssel um und lieà den Motor anspringen. Sie musste sich beeilen, um schnell den Platz einzunehmen, den Paolo frei gemacht hatte, sonst wäre sie zu Fall gekommen. Denn der Transporter war schon wieder angefahren.
Seit der Gründung der Strafkolonie hatte noch jeder neue Gefängnisdirektor beim Amtsantritt als sein drin gendstes Vorhaben die Lösung des Problems InselstraÃen genannt. Oder genauer, die Lösung des Problems SchotterstraÃe . Denn sie war die einzige, die die ganze Insel durchmaÃ, von der Zentrale an der Nordspitze ihren Ausgang nahm, dann die verschiedenen Zweigstellen mit den dazugehörenden Feldern verband und schlieÃlich an der Südspitze endete. Hier war der Punkt, der von der Bootsanlegestelle am wei testen entfernt und gleichzeitig dem Festland am nächsten lag, allerdings durch die tückische Meerenge davon getrennt. Hier befand sich das Hochsicherheitsgefängnis.
Mit ungetrübtem Enthusiasmus und den besten Vor sätzen nahm jeder neue Direktor die Arbeiten wieder auf, wobei er die Asphaltierung jeweils bei jener AuÃenstelle beginnen lieÃ, die, persönlicher Motive wegen, seiner Ansicht nach eine asphaltierte Zufahrt am dringendsten benötigte. Bald jedoch versickerte der Geldstrom wie auch schon bei seinem Vorgänger und Vorvorgänger, trocknete aus wie ein Fluss, der nur zu bestimmten Jahreszeiten Wasser führt, sodass für die StraÃenarbeiten nichts mehr übrig war: Die Geld mittel für die Aufrechterhaltung des normalen Ge fängnisbetriebs waren ja schon chronisch knapp, umso mehr also für Arbeiten, die sich auch verschieben lie Ãen. All diese geplatzten guten Vorsätze pflasterten nun die StraÃe über die Insel, und die Menschen, die sie befuhren, sahen es. Oder besser gesagt, sie spürten es am Hintern, der von StöÃen und Erschütterungen nur
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