Ueber Meereshoehe
niederhalten, das der Wind hochgeblasen hatte. Sie bewohnten eines der kleinen, eingeschossigen Häuser des Ortes, die für die Familien des Gefängnispersonals vorgesehen waren, und dort lag die Küche direkt hinter der Haustür, zu der von der StraÃe zwei Steinstufen hinaufführten.
Sie hatte sofort das Blut gesehen, und Pierfrancesco war das nicht entgangen. Schweigend stand er da, als warte er auf eine Frage. Auf die Frage. Die aber ausblieb: Um nicht weiter diesen Blutfleck vor Augen zu haben, senkte Maria Caterina den Blick wieder auf das Hemd, das sie bügelte.
So war er es, der begann. Und er erzählte. Von dem Beinahezusammenstoà mit dem Transporter, von dem verletzten Häftling, von den beiden Besuchern, die jetzt wegen des Sturms auf der Insel festsaÃen. So etwas sei noch nie vorgekommen, sagte er. Er habe sie im Gästehaus untergebracht. Irgendwann müsse man ihnen etwas zu essen bringen.
»Waren die auch bei dem Unfall dabei?«, fragte Maria Caterina, ohne den Blick zu heben, während ihre gerunzelte Stirn weiter der Bahn folgte, die das Bügeleisen auf einem Ãrmel zog.
»Ja.«
Die dreieckige stählerne Spitze umrundete einen Knopf.
»Haben sie sich was getan?«
»Nein.«
Zeige- und Mittelfinger der linken Hand spreiz ten die Ãffnung des Ãrmels, um das Hineingleiten des Bügeleisens zu erleichtern.
»Und was sind das für Leute?«
»Angehörige von zwei Häftlingen im Sondergefängnis. Ein Mann und eine Frau.«
Maria Caterina hob das Bügeleisen vom Stoff, stellte es senkrecht in die Halterung und drehte sich zu ihrem Mann um. Aber nicht, um sich noch einmal den Fleck auf dem grauen Uniformstoff anzusehen.
»Eine Frau?«, fragte sie, indem sie ihm direkt ins Gesicht sah.
Paolo und Luisa saÃen auf zweien der Stühle in dem einzigen Zimmer im Glaspalast, zwischen ihnen der Tisch.
»Haben Sie Hunger?«, fragte Luisa.
»Jetzt, da Sie es sagen ⦠Ja, schon ein wenig.«
Sie griff zu der Tasche, die sie auf das an Volksschulen erinnernde Pult gestellt hatte, und entnahm ihr einen groÃen Brotlaib, Käse und ein kleines Messer. Mit geübten Gesten brach sie von dem Brot, schnitt Stücke vom Käse und reichte ihm davon.
»Greifen Sie zu.«
»Danke«, sagte Paolo. »Aber was ist mit Ihnen? Haben Sie keinen Hunger?«
»Doch, doch. Ich esse auch etwas. Aber Sie sehen ja, wie viel ich dabeihabe. Auf der Fahrt hatte ich keinen Hunger.«
Das Brot war dunkel, aus Roggen, ziemlich langwierig zu kauen. Das behagte ihm. Er schloss die Augen, während seine Kiefer arbeiteten, und merkte plötzlich, wie groà sein Appetit war. Das Letzte, was er zu sich genommen hatte, war ein dünner Kaffee im Morgengrauen nach der nächtlichen Ãberfahrt gewesen, noch an Bord der Autofähre vom Festland.
Seitdem hatte er weder etwas getrunken noch gegessen. Erst jetzt, den Mund voll Brot und Käse, spürte er den Hunger.
Nach Emilias Tod war es immer wieder vorgekommen, dass er zu essen und sogar zu trinken vergessen hatte. Wenn sein Körper sich dann endlich so deutlich meldete, dass Paolo nicht länger diese Grundbedürfnisse ignorieren konnte, wurde ihm bewusst, wie viele Stunden er schon ohne Nahrung war. Aus dieser Erfahrung heraus hatte er sich für die Hauptmahlzeiten feste Abläufe verordnet: um ein Uhr dreiÃig Mittagessen, um acht Uhr Abendessen. Seine Schwester vergewisserte sich mit diskreten, aber vom Zeitpunkt her gezielten Anrufen, dass er sich ausreichend ernährte. Auf Reisen jedoch, genauer auf diesen Reisen â mitt lerweile allerdings die einzigen, die er noch unter nahm â gewann die Nachlässigkeit, oder besser das Desinteresse an den körperlichen Bedürfnissen die Oberhand.
Aber dieses Brot, dieser Käse ⦠Einfach herrlich!
Jetzt reichte ihm die Frau mit den klaren Augen eine mit Fell verkleidete Feldflasche. Paolo nahm sie entgegen, schraubte sie auf und trank. Man merkte, dass dieses Wasser, trotz der langen Zeit im dem Behälter, kein Stadtwasser war: Es schmeckte metallisch, aber auch nach Wiese. Paolo nahm noch einen Schluck. Erst jetzt spürte er, als habe das Essen auch diese Empfindung geweckt, wie trocken sein Mund war. Viel leicht hätten seine ausgetrockneten Schleimhäute auch Wasser aus einem Hahn in einem Industriegebiet mit der gleichen Gier aufgenommen, fest stand aber, dass jeder Schluck
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