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Ueber Meereshoehe

Ueber Meereshoehe

Titel: Ueber Meereshoehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesca Melandri
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mit dem man unmöglich hatte rechnen können: Angehörige von Häftlingen im Hochsicherheitstrakt, die einem Aufseher den Arsch retteten. So reglos, stumm, entgeistert stand er da, dass sich auch das Heulen und Brausen einen Moment zu legen schien.
    Paolo begann sich Sorgen zu machen.
    Â»Hoffentlich haben wir Ihnen nicht gerade dadurch Ärger eingehandelt?«
    Jetzt erst erwachte Nitti aus seiner Erstarrung. Mit einem angedeuteten Lachen stieß er Luft durch die Nasenflügel aus.
    Â»Ã„rger? Sie wollen mich wohl auf den Arm neh men. Nein, nein, aber wenn der Dottore dahinterge kommen wäre, dass ich Sie hier allein gelassen habe, hätte er mir das Fell bei lebendigem Leibe über die Ohren gezogen …«
    Der Vollzugsbeamte schaute ihnen in die Augen, erst ihm, dann ihr.
    Â»Ich weiß wirklich nicht, was ich sagen soll. Danke.«
    Paolo machte eine wegwerfende Handbewegung: Ach was, das war weniger Mühe, als eine Fliege zu vertreiben .
    Â»Was wollen Sie ihm denn sagen, wenn er wissen will, wo wir waren?«, fragte Luisa.
    Â»Eine gute Frage. Aber ich soll Sie ja im Auge behalten und nicht einschließen. Wir waren eben unterwegs.«
    Â»Bei dem Sturm?«
    Den Blick weiter auf Luisa gerichtet, ließ Nitti sich die Sache durch den Kopf gehen. Plötzlich erhellten sich seine Züge, und er strahlte wie jemand, dem gerade eine Idee gekommen ist, die vielleicht nicht ganz astrein und ein wenig verrückt, aber auch ziemlich gut ist.
    Â»Meine Frau wollte heute Abend Fisch für Sie machen. Und bei so einem Maestrale kommt man an Seebarsche ganz leicht heran …«
    Die Wellen umspülten die Felsen, verströmten sich in einem Gewirr von Strudeln, das nicht mehr zu durchschauen war, und wenn sie sich dann zurückzogen, um aus einer anderen Richtung erneut anzurollen, stießen sie klatschend, wie Hände beim Applaus, gegen neue Brecher, und das Meer überzog sich mit weißem Schaum.
    Â»Es sieht aus wie Milch«, sagte Luisa. »Oder wie Sahne, nein, wie Schaum auf einem Bier.«
    Seit sie ausgestiegen waren, hatte Luisa nur noch Augen für das Brodeln des Meeres, für die Wellen, die sich gegen die Klippen warfen, um dann an ihnen her abzufluten. Die Kaskaden, die sie dabei bildeten, erinnerten sie an die Wasserfälle, die während der Schneeschmelze bei ihr zu Hause durch Schluchten zu Tal stürzten.
    Paolo dagegen kam die aufgewühlte See eher wie eine Landschaft voll brodelnder Vulkane vor, in der es von Fabelwesen, Tieren, seltsamen Gestalten wimmelte. Jede noch so kleinste Kräuselung, die sich bil dete, schien ihm für den Bruchteil einer Sekunde etwas oder mehr noch jemand zu sein. Doch all diese Wesen zerfielen auf der Stelle und verschwanden, um neuen unbeständigen Schöpfungen Platz zu machen. Alles um ihn herum war nur noch tobendes Wasser. Der Maestrale hatte auch die Luft zum Meer werden lassen, hatte sie mit Salz getränkt, ihr Geschmack und Festigkeit verliehen. Sie einzuatmen war jetzt so, als würde man sich Algen ins Gesicht streichen.
    Von der Straße waren sie zu einer winzigen Bucht mit weißem Sand hinabgestiegen, die von einem fast geschlossenen Ring aus Granitklippen geschützt wurde. Theatralisch spritzte die Gischt auf, wenn sich draußen die Wellen an dieser natürlichen Barriere brachen, doch drinnen war das Wasser fast ruhig. Den ganzen Sommer über hatte die Sonne es in dieser Delle der Küstenlinie wie in einem smaragdgrünen Kessel aufgeheizt, und so war es auch jetzt noch nicht kalt. Ruhig wie ein Bär in seiner Höhle atmete hier das Meer.
    Der Sturm war nicht mehr ganz so stark wie einige Stunden zuvor, obwohl die hohen grauen Wolken immer noch unruhig, flattrig wie aufgehängte Kis senbezüge, an denen der Wind reißt, über den Himmel trieben. Hier und dort aber begann die Wolkendecke aufzureißen, und durch die Lücken fiel das Licht steil herab wie durch das Oberlicht auf einem Speicher. Dort, wo es auftraf, und nur dort, schimmerte das hai fischfarbene Meer in türkisblauen Tönen.
    Schon unterwegs, während er den Wagen über die abschüssige Küstenstraße steuerte, hatte Nitti ihnen erklärt: »Durch die Brandung wird das küstennahe Wasser mit Sauerstoff angereichert. Das lockt kleinere Fische an, Sardinen, Sardellen, Marmorfische … Der Seebarsch nutzt das Gewimmel, um hier auf Jagd zu gehen, und zack, schnappen wir ihn

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