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Ueber Meereshoehe

Ueber Meereshoehe

Titel: Ueber Meereshoehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesca Melandri
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glücklich gewesen über ihre Entschei dung, hierherzuziehen und hier zu leben. Lehrerin, junge Ehefrau, nach einigen Jahren auch Mutter: Auf dieser Insel war all das aus ihr geworden, was sie sich als junges Mädchen immer erträumt hatte. Als sie am Tag nach der Hochzeit mit der Fähre eintraf, war sie neunzehn gewesen, Pierfrancesco sechs Jahre älter. Sie begehrten einander mit großer Leidenschaft und liebten sich fast jeden Abend. Danach schmiegte sie sich eng an ihn in dem verschwitzten Bett, den Kopf auf seiner Brust, und er erzählte ihr von den Männern in seinem Gefängnis und ihren Geschichten.
    Er erzählte ihr von dem Häftling, der wegen illegalen Waffenhandels verurteilt war und von dem es hieß, er sei eine große Nummer in dem Geschäft und habe mit den Marsigliesi, wenn nicht sogar mit der Mafia zu tun. Da er außerdem ein hervorragender Mechaniker war, arbeitete er in der Werkstatt und hatte ihm, Pierfrancesco, schon viele nützliche Dinge über alle möglichen Motoren beigebracht.
    Oder von dem Mann, der, wenn man ihn ansprach, gerade mal zwei Worte in seinem Heimatdialekt herausbekam. Niemand verstand ihn, und wenn er etwas unterschreiben musste, zog er Furchen ins Papier, als hantiere er nicht mit einem Stift, sondern mit einem Pflug. Doch dann war Pierfrancesco, wie er erzählte, während eines Besuchstermins zufällig Ohrenzeuge eines Gesprächs geworden, und da stellte sich heraus, dass der Gefangene mit seinem Anwalt makelloses Italienisch sprach und dass er vom Strafgesetzbuch mehr als er selbst verstand.
    Pierfrancesco erzählte ihr von dem Gefangenen, der in einem Eifersuchtsanfall seine Frau erwürgt hatte und der sich jetzt im Gefängnis ständig für alle anderen einsetzte, ihnen mit guten Ratschlägen half und jeden aufbaute, der es gerade besonders schwer hatte. Aufseher und Gefangene stimmten darin überein, dass es eine Frau, die von solch einem guten Menschen ermordet wurde, bestimmt nicht besser verdient hatte.
    Er erzählte ihr von der Unart der Neapolitaner anderen Leuten auf die Nerven zu fallen, ihnen vorzujammern, wie schlecht es ihnen gehe und dass sie womöglich gleich an einem Herzinfarkt sterben würden (Pierfrancesco hatte ihr dieses Lamento vorgemacht, und sie hatte gelacht), und am Ende konnte man sicher sein, dass sie einen wieder reingelegt hatten.
    Von den Sizilianern, die die anderen beherrschen wollten und für die alles eine Sache der Ehre war: Wehe man war schuld, dass sie ihr Gesicht verloren, dann machten sie sich einen Knoten ins Taschentuch, und man musste sich ständig umsehen, was hinter einem geschah, man war nie mehr sicher, denn eines Tages zahlten sie einem die Kränkung heim, mit einer sensationellen, theatralische Aktion.
    Von den Kalabresen, die alle mit »Du« ansprachen: »Ich hab dir ja gesagt …«, und wenn ein neuer Aufseher kam und auf so einen Kalabresen traf, verpasste er ihm eine Strafe, weil er glaubte, es sei mangelnder Respekt, weil er nicht verstand, dass die in Kalabrien immer so redeten, mit allen.
    Von den Slawen, die noch schlimmer als alle anderen waren, wahnsinnig und grausam, wäre es nach denen gegangen, hätte es jeden Tag Randale gegeben, und wehe, man ließ sie glauben, und sei es auch nur für einen Moment, sie seien stärker als du. Nein, was die bräuchten, war Angst und eine harte Hand, etwas anderes respektierten die nicht.
    Von den Afrikanern, bei denen man, wenn sie sich übers Essen beschwerten, nur zählen müsste, und man war noch nicht bei zehn, da sagte garantiert schon einer: »Dann geh doch zu Hause ins Gefängnis, wenn du meinst, dass der Fraß da besser ist.« Der Afrikaner erwiderte dann nichts, aber irgendwann, wenn keiner hinsah, spuckte er dem Betreffenden ins Essen – oder machte noch etwas Ekligeres.
    Pierfrancesco erzählte auch von dem eiskalten Entführer mit dreimal lebenslänglich auf dem Buckel, der seiner Frau Liebesbriefe voller intimer Details schrieb und dabei ein so genaues Bild ihres Körpers zeichnete, wie es keine anatomische Abhandlung hätte tun können. Wenn Pierfrancesco bei der Briefkontrolle Dienst hatte und solch einen Brief las, wurde er immer verlegener, spürte aber zugleich, dass ihm das Blut in den unteren Körperregionen zusammenströmte, und dachte unwillkürlich daran, was er am Abend mit seiner eigenen Frau machen würde.
    Er erzählte

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