Ueber Meereshoehe
ein intensiver Genuss für ihn war.
Wieder einmal merkte er, dass er beim Schlucken die Augen geschlossen hielt. Als er sie wieder aufschlug, sah er, wie sie ihn beobachtete. Ihr Gesichts ausdruck war der einer Mutter, deren Kind etwas richtig macht: zufrieden, selbstgewiss, wartend.
»Wir haben uns noch gar nicht einander vorgestellt. Ich heiÃe Paolo.« Er nahm die Feldflasche in die linke und reichte ihr die rechte Hand.
Auch sie streckte die Hand aus und drückte steif die seine.
»Luisa.«
Dann wandte sie sich wieder Brot und Käse zu, brach und schnitt noch etwas ab, reichte es ihm. Paolo nahm es entgegen und wollte sich gerade bedanken, doch sie kam ihm zuvor.
»Ich wollte Ihnen noch Danke sagen.«
Paolo blickte sie fragend an.
»Wofür? Ich bin es doch, der Ihr Brot isst.«
»Ich meine wegen heute Morgen. Es war so staubig dort hinten, und Sie haben den Platz mit mir getauscht.«
»Ach so, deswegen ⦠Nun, ich fand es einfach nicht richtig, dass Sie da so unbequem sitzen mussten.«
»Warum nicht?«, fragte Luisa ehrlich erstaunt. Sie verstand wirklich nicht den Grund für ihr Vorrecht, halbwegs bequem sitzen zu können.
Tiefe Rührung und Mitleid mit dieser Frau überkamen Paolo. Plötzlich wurde ihm klar, wie wenig Aufmerksamkeiten sie gewöhnt war, und in ihm regte sich der irrationale Wunsch, die passenden Worte zu finden, um sie von ihrem Recht zu überzeugen, sich von einem Fremden einen besseren Platz anbieten zu lassen und mit der Rücksicht behandelt zu werden, die einer Frau zustand. Auf wunderbare Weise passende Worte, die sie mit den langen Jahren versöhnen würden, in denen sie sich, unbeachtet und unbequem sitzend, den Staub ins Gesicht hatte pusten lassen müssen. Doch in einem Ton, der so entschlossen war, dass er fast brüsk klang, sagte er schlieÃlich nur: »Weil Sie eine Dame sind.«
Luisas Augen weiteten sich und wirkten jetzt noch klarer. Doch ob der Grund dafür Tränen oder die Verblüffung über diese Bezeichnung waren, konnte Paolo nicht rechtzeitig erkennen. Denn schnell senkte sie wieder den Blick und begann, in ihrer Tasche herumzutasten. Erst nach längerem Stöbern holte sie hervor, wonach sie gesucht hatte: einen Apfel. Wortlos reichte sie ihn weiter.
Paolo nahm ihn entgegen â er war klein, etwas runz lig, gesprenkelt â, führte ihn zum Mund und biss hinein.
Ist der süÃ! Unglaublich. So einen süÃen Apfel habe ich noch nie gegessen.
Sie hatten ihre Mahlzeit schon eine Weile beendet und sich beide im Bad frisch gemacht. Nun saÃen sie gerade wieder zusammen in dem Zimmer, als sich in das Heulen des Windes, der die Fensterscheiben vibrieren lieà und durch die Rahmen pfiff, und das Tosen der Wellen, die sich an der Mole brachen, ein Brummen mischte. Ein Motor. Er kam näher, das Brummen erlosch, und eine Tür wurde zugeschlagen.
»Nitti! Mach auf!«
Die tönende Stimme eines Mannes, der den Gehorsam seiner Untergebenen gewohnt war: der Direktor. Luisa blickte Paolo an und sagte leise, mit fragender Miene: »Ist er das?«
Paolo legte sich einen Finger an die Lippen.
»Ja.«
Sie warteten. Die Stimme wurde ungeduldiger.
»Nitti! Seid ihr da?«
Obwohl sie von drauÃen nicht zu sehen waren, auch wenn sich jemand die Nase an der Scheibe des Flurfensters platt gedrückt hätte, zogen sich Paolo und Luisa noch ein wenig tiefer in das Zimmer zu rück, um nicht doch noch entdeckt zu werden. Sie lauschten auf die schweren Schritte, mit denen der Direktor vor dem Glaspalast auf und ab ging, hörten, wie er dann kurz stehen blieb, und schlieÃlich, wie wieder eine Wagentür zugeschlagen und ein Motor angelassen wurde.
Erst nach einigen Augenblicken steckte Paolo den Kopf aus der Zimmertür und sah gerade noch durchs Flurfenster einen Geländewagen der Strafvollzugspolizei, der wendete und dann hinter den niedrigen hellen Häusern verschwand.
Als Nitti zurückkehrte, war er sich zunächst nicht sicher, sie richtig verstanden zu haben.
»Sie haben so getan, als wenn niemand da sei?«
»Ja, Sie haben uns doch gesagt, dass Sie Ãrger bekommen, falls uns der Direktor hier alleine antrifft«, sagte Luisa.
Nitti schaute sie ungläubig an.
»Das heiÃt ⦠Sie haben sich meinetwegen versteckt?«
Paolo zuckte mit den Achseln, nickte.
Schweigend starrte Nitti sie an wie eine Art Naturphänomen,
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