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Ueber Meereshoehe

Ueber Meereshoehe

Titel: Ueber Meereshoehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesca Melandri
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hätten landen können. Das sei alles gut ausgeheckt gewesen, auch wenn es fast an Selbstmord grenzte, sich bei diesem Seegang mit einem Schlauchboot bis vor die Klippen zu wagen. Aber die Frau hatte es geschafft und den Mann von der Insel fortgebracht. So etwas hätte sich niemand vorstellen können. Alle waren sich sicher gewesen, dass bei einem so heftigen Sturm eine Flucht völlig unmöglich war. Doch der Flüchtling sei schon eine Woche auf dem Festland gewesen, als er immer noch auf der Insel gesucht wurde.
    Â»Ja, in der Woche hatte ich tatsächlich Angst«, schloss Maria Caterina. »Ich habe die Kinder nicht aus dem Haus gelassen, und auch in der Schule durften die Schüler nicht draußen spielen. Aber sonst, nein, gab es nie Grund zur Sorge.«
    Â»Sehen Sie?«, warf Pierfrancesco ein. »Sogar meine Frau ist wie der Leuchtturmwärter geworden.«
    Er war aus dem Zimmer, in dem er die Kinder schlafen gelegt hatte, zurück und hatte bereits eine Weile schweigend zugehört.
    Â»Durch das Leben hier auf der Insel ist auch sie hungrig auf Worte geworden.«
    Â»Und sie?«, fragte Paolo. »Sie nicht?«
    Â»Nein, ich nicht. Ich fühle mich hier wohl«, sagte Nitti. »Diesen Hunger bekomme ich nicht.«
    Maria Caterina machte ein Gesicht, das Paolo an die Miene seines Sohnes zu Ende der Besuchszeit erinnerte: das Gesicht dessen, der im Gefängnis zurückbleibt, allein hinter Glas. Dabei war sie eine Frau mit einer netten Familie und einem Mann, der sie ganz offensichtlich liebte. Er war verwundert und konnte es sich nicht erklären.
    Luisa hingegen hörte gar nicht zu, sondern war mit der Frage beschäftigt, ob auch sie selbst ihren flüchtigen Ehemann mit einem Schlauchboot abgeholt hätte. Für die Antwort brauchte sie nicht lange.
    Nein. Selbst ohne Sturm nicht .
    Â»Kommen Sie bitte mal mit«, sagte Maria Caterina nach dem Essen zu ihr. »Ich will Ihnen noch Decken mitgeben für die Nacht.«
    Luisa folgte ihr ins Elternschlafzimmer. Sie hatte es kaum betreten, da schaute Maria Caterina noch einmal verstohlen zurück und schloss dann die Tür hinter ihnen. Indem sie noch näher an Luisa herantrat, sagte sie leise:
    Â»Ich möchte Sie gerne etwas fragen, aber ich weiß nicht, wie ich anfangen soll.«
    Von der Situation überrascht, hatte Luisa die Augen weit aufgerissen. Maria Caterinas Gesicht war dem ihren ganz nahe. Diese biss sich auf die Lippen, klimperte mit den Lidern, gab sich endlich einen Ruck und begann.
    Â»Mein Mann hat mir erzählt, dass es einen Unfall gegeben hat und dass Sie deswegen die Fähre nicht mehr erreicht haben.«
    Das enge Zimmer wurde fast vollständig von dem Ehebett und einer Kommode eingenommen. Die Tür war auf der anderen Seite, und Luisa beschlich das Gefühl, in der Falle zu sitzen.
    Â»Ja, das stimmt«, antwortete sie.
    Â»Und dass Ihr Wagen beinahe frontal mit dem Jeep zusammengeprallt ist, den er für eine Überführung benutzt hat.«
    Â»Eine Überführung?«
    Â»Ja, den Transport eines Häftlings. Und dass dieser Häftling dabei verletzt wurde und dass ihm dessen Blut auf die Jacke gelaufen ist.«
    Â»Ja, das stimmt, er hat aus der Nase geblutet.«
    Â»Dann haben Sie den Mann also gesehen?«
    Â»Ja. Aber nicht deutlich. Er lag ausgestreckt auf dem Boden. Doch es stimmt, gesehen habe ich ihn. Entschuldigen Sie, warum fragen Sie …«
    Maria Caterina unterbrach sie, Erregung hatte sie gepackt, und hintereinander, wie Ameisen in einer Ameisenstraße, strömten ihr die Worte aus dem Mund.
    Â»Mein Mann sagt, dieser Häftling habe sich das Gesicht aufgeschlagen, und deswegen sei ihm Blut aus der Nase gelaufen.«
    Â»Wenn er das so gesagt hat, wird es auch stimmen. Aber ich habe immer noch nicht ganz verstanden, was Sie eigentlich von mir wissen wollen.«
    Maria Caterina schwieg. Die Lippen halb geöffnet, die Stirn in Falten gelegt, stand sie da. Erst nach einer Weile sagte sie:
    Â»Ich frage Sie das, weil Sie eine Frau sind. Männer erzählen ja nichts von solchen Dingen.«
    Â»Von welchen Dingen?«
    Es war eher Angst als Unbehagen, was Luisa überkam. Undeutlich spürte sie, dass das, was diese Frau von ihr wissen wollte, auch mit ihr persönlich zu tun hatte, mit ihrem Leben, zweifellos ebenso mit dem Gefängnis und folglich ihrem Ehemann. Und diese Vorstellung gefiel ihr nicht.
    Maria Caterina setzte

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