Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ueber Meereshoehe

Ueber Meereshoehe

Titel: Ueber Meereshoehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesca Melandri
Vom Netzwerk:
ihm den Rücken zu, während seine Miene wieder so undurchdringlich wirkte wie die ganze Zeit zuvor. Niemand außer Paolo hatte es gesehen oder gehört.
    Seinem Sohn hatte er nie davon erzählt – natürlich nicht.
    Ein Schrei riss ihn aus seinen Gedanken.
    Er sah zu Nitti, dem das Wasser jetzt weit über die aufgerollte Hose fast bis zur Taille reichte. Seine Jacke hatte er in Sicherheit gebracht, und erneut reckte er die Harpune wie eine Fahne in die Höhe. Doch nun hatte er einen fetten Seebarsch aufgespießt, der sich vor dem Hintergrund des düsteren Himmels zappelnd hin und her warf. Genau in diesem Moment sank die Sonne auf ihrem schon weit fortgeschrittenen Weg zum Horizont tiefer als die Wolkendecke. Deren unterer Rand leuchtete auf, als sei er in Goldfarbe getaucht worden. Ein Sonnenstrahl traf auch den Seebarsch und Nitti Pierfrancescos Gesicht.
    Noch einmal stieß der Vollzugsbeamte einen wilden Siegesschrei aus, wie der Jäger eines heidnischen Stammes.
    Auf dem Rückweg ins Dorf stießen sie auf eine Schar Rebhühner. Sie hatten einen Ring aus Federn um den Hals, ausladende Hinterteile und einen geschäftigen Gang. Nitti hupte, doch die Vögel ließen sich nicht stören und trippelten weiter mitten auf der Fahrbahn.
    Â»Diese dummen Hühner! Dabei können sie hervorragend fliegen. Aber nein …«
    Wieder drückte er auf die Hupe, gab Gas und fuhr fast in die Schar hinein, doch es war nichts zu machen, die Tiere dachten gar nicht daran, endlich aufzufliegen. Nitti hatte schon den Mund geöffnet, um laut zu fluchen, als die Rebhühner endlich die Flügel ausbreiteten und zu einem Wolfsmilchstrauch neben der Straße flatterten.
    In diesem Moment kam ihnen aus der Gegenrichtung ein Auto entgegen, eine jener Rostlauben, die nur auf dieser Insel noch im Verkehr geduldet wurden. An dieser Stelle war die Schotterstraße breit genug für zwei Fahrzeuge. Der Fahrer der Schrottkiste hielt neben ihnen an und kurbelte das Seitenfenster hinunter, sodass ihm der Wind den durchs Bremsen aufgewirbelten Staub in den Innenraum fegte.
    Auch Nitti drehte das Seitenfenster hinunter und begann, mit dem Fahrer zu reden. Oder genauer, es war der andere, ein Mann mit rundem Gesicht, das die Sonne wie einen Hefeteig gebräunt hatte, der ein Ge spräch anfing. Ein Schwall von Fragen ergoss sich über Nitti.
    Â»Wer sind die beiden?«
    Â»Wo kommt ihr her?«
    Â»Wo wollt ihr hin?«
    Doch anstatt eine Antwort abzuwarten, schwatzte er immer weiter, fragte, kommentierte, wiederholte die vier zusammenhängenden Worte, die Nitti zwischen diesen Ergüssen einschieben konnte. Mittlerweile erzählte der Mann von der Zahnbrasse, die er am Vortag gefangen hatte, von dem Laden, in dem er gerade kurze Nudeln kaufen wollte und keine gefunden hatte, sodass er sich mit Spaghetti zufriedengeben musste, von seinem Zahnfleisch, das ihm Schmerzen bereitete, und dem Zahnarzt, der schon seit einem Monat auf der Insel angekündigt war, aber den Besuch immer wieder verschob. Vom Maestrale, der bereits wieder abflaute – wer hätte am Morgen schon gedacht, dass er nicht einmal einen ganzen Tag anhalten würde, er jedenfalls habe geglaubt, als er ihn am Mittag losbrechen sah, dass der Sturm die Insel mindestens eine halbe Woche lang umtoben würde. Von dem Sohn des Kapitäns, der aus Ame rika erwartet wurde, von seinem eigenen ältesten Sohn, der auf dem Festland Soldat war, und von vie lem mehr berichtete er.
    Die Rebhühner schienen unterdessen ihre Eile vergessen zu haben: Aufgereiht unter dem Wolfs milchstrauch, beobachteten sie die beiden Köpfe, die aus den nebeneinanderstehenden Fahrzeugen herausragten, so aufmerksam, als verfolgten sie das Ge spräch.
    Nitti brauchte eine Weile, bis es ihm gelungen war, diesen Redefluss zu stoppen und sich zu verabschieden. Endlich schloss er das Fenster und ließ den Motor wieder an. Die beiden Wagen setzten sich in Bewegung, ganz langsam, um die Kotflügel heil zu lassen.
    Â»Wer war das?«, fragte Paolo nach einigen Metern.
    Â»Der Leuchtturmwärter. Ein ausgezeichneter Fischer. Seebarsche, Zahnbrassen, Meeräschen, Zackenbarsche, der kennt sich aus. Ich habe alles von ihm gelernt«, antwortete Nitti.
    Er wandte den Kopf, um seine Mitfahrer anzuschauen, und Luisa versteifte sich: Ihr wäre es lieber gewesen, er hätte die Straße im Blick behalten.
    Â»So ist diese Insel«, fuhr

Weitere Kostenlose Bücher