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Ueber Meereshoehe

Ueber Meereshoehe

Titel: Ueber Meereshoehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesca Melandri
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Nitti fort. »Tagelang kannst du nur schweigen. Dann schickt sie dir jemanden vorbei, der dir zuhört, und dann muss man dich schon niederschießen, damit du endlich den Mund hältst.«
    Kein Zweifel, es war eine sonderbare Tischgesell schaft. Nitti und seine Frau hatten noch nie Familienangehörige von Häftlingen zum Essen eingeladen. Und ebenso wenig waren Paolo oder Luisa schon einmal Gäste im Haus eines Strafvollzugsbeamten gewesen. Doch als sie dann alle – die Gäste, Pierfrancesco, Maria Caterina und die beiden Kinder – an dem Tisch in dem niedrigen Haus Platz genommen hatten, fühl ten sie sich sehr viel weniger unbehaglich, als sie geglaubt hätten, wäre ihnen diese Situation am Vortag prophezeit worden.
    Und das Essen schmeckte. Die gut gesalzene Pasta mit Seeigelsoße glitt leicht über die Zunge. Bei jedem Bissen hatte Luisa das Gefühl, sich ein Knäuel Meer in den Mund zu stecken. Allerdings hatte sie Schwierigkeiten, die Spaghetti auf die Gabel zu rollen. Bei ihr zu Hause kamen sie nur selten auf den Tisch. Da gab es Polenta, Kartoffeln oder eben auch Ravioli, wie sie am Morgen im Gefängnis in den Müll gewandert waren.
    Der Morgen. Wie wenig Zeit doch seitdem vergangen war. Gerade mal einen halben Tag war es her, dass sie vor der Glasscheibe gesessen hatte, die sie von ihrem Ehemann trennte. Sie schrak fast ein wenig zusammen, als ihr bewusst wurde, wie nahe sie noch dem Gefängnis war, in dem er eingesperrt saß.
    Entschlossen saugte sie sich jetzt eine Nudel in den Mund, die sich partout nicht um die Gabel drehen lassen wollte.
    Â»Vielleicht kommen sie hiermit besser zurecht …«
    Maria Caterina reichte ihr einen Löffel. Luisa nahm ihn dankbar entgegen und hob damit die Spaghetti an, was ihr den ganzen Vorgang merklich erleichterte.
    Anders Paolo, der solch lange Nudeln gewohnt war und sie ohne nachzudenken auf die Gabel rollte. Irgendwann fielen ihm die drei Buchstaben auf, die in das Besteck eingraviert waren: IPP .
    Â» ISTITUTO PREVENZIONE PENA , Strafvorbeugungs anstalt«, erklärte Nitti, der Paolos Blick bemerkt hatte. »Die sind aus der Gefängniskantine.«
    Â»Vorbeugung?«, wunderte sich Paolo. »Das Wort ist aber auch – wie soll ich sagen? – etwas veraltet.«
    Â»Ja, ich weiß … Auf dieser Insel dauert eben alles länger. Nehmen Sie nur den Glaspalast. Seit Jahren wird schon daran gebaut, und Sie haben noch Glück, dass überhaupt eine Matratze geliefert wurde. Bestellt waren allerdings zwei.«
    Die Schüssel mit der Seeigelpasta war leer. Maria Caterina holte die Seebarsche aus dem Ofen und schickte die Kinder zum Zähneputzen. An Fisch mit Gräten hatten sie ohnehin kein Interesse, und außerdem sollten sie ins Bett, weil anderntags Schule war. Nitti stand auf, um sie auf ihr Zimmer zu bringen und ihnen noch einen Gutenachtkuss zu geben. Paolo und Luisa blieben am Tisch zurück und sahen zu, wie Maria Caterina gekonnt die Fische zerlegte und sie von Gräten und Köpfen befreite.
    Â»Ich habe erst hier gelernt, wie man Fisch zubereitet«, sagte sie. »Bei uns zu Hause haben wir nie Fisch gegessen. Wir sind ja Landratten, das Meer ist uns fremd.«
    Sie erzählte, dass ihre Eltern es zunächst nicht gut fanden, als sie ihnen ankündigte, auf diese nur von Wärtern und Verbrechern bewohnte Insel zu ziehen. Doch Pierfrancesco habe ihnen erklärt, dass keine Gefahr für sie bestehe, und damit seien sie zufrieden ge wesen. Ihre Eltern hatten ihren Schwiegersohn ins Herz geschlossen und vertrauten ihm. Tatsächlich habe sie niemals Grund gehabt, sich auf der Insel zu fürchten. Es komme sogar vor, obwohl das verboten sei, dass ihr Freigänger Gemüse aus dem Garten oder Trauben aus dem Weinberg vorbeibrächten. Auch zu den Kindern seien sie immer nett.
    Nur einmal habe sie tatsächlich Angst verspürt, und zwar als ein hoher Mafiaboss ausgebrochen sei. Der hatte mit bloßen Händen einen Aufseher erwürgt und war in die Berge geflüchtet. Mit Unterstützung seiner Geliebten, die ihn mit einem Schlauchboot abholte, entkam er dann von der Insel. Für den Ausbruch hatten sie sich mit Vorbedacht einen stürmischen Tag ausgesucht. Der Maestrale habe genauso heftig wie heute geweht, erzählte sie, sodass die Schnellboote im Hafen bleiben mussten. Auch die angeforderten Hubschrauber waren ausgeblieben, weil sie bei dem Sturm nicht

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