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Ueber Meereshoehe

Ueber Meereshoehe

Titel: Ueber Meereshoehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Francesca Melandri
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noch einmal an und sprach jetzt sehr schnell mit der Miene eines Menschen, der sich überwinden musste, erklärende Worte abzugeben.
    Â»Ich möchte von Ihnen wissen, ob dieser Mann wirklich bei dem Unfall verletzt wurde oder ob mein Mann ihn geschlagen hat.«
    Sie hob eine Hand vors Gesicht und rieb sich die Augen, als sei sie plötzlich furchtbar müde.
    So stand sie da, Nasenflügel, Mund, eine Wange, das halbe Gesicht von der Hand verborgen. Hinter dem schwachen Schutz ihrer Finger blickte sie Luisa fest in die Augen.
    Â»So. Jetzt ist es raus. Und ich bitte Sie …« Ihre Stimme hatte jetzt tatsächlich etwas Flehendes. »Sagen Sie mir, was da genau vorgefallen ist.«
    Doch Luisa schüttelte den Kopf.
    Â»Ich weiß es nicht.«
    Maria Caterina stieß einen tiefen Seufzer aus, ohne die Hand vom Gesicht zu nehmen.
    Sie hielt den Blick weiter auf Luisa gerichtet, der diese wie eine Harpune durchdrang.
    Â»Sie wissen es nicht?«
    Â»Nein.«
    Â»Sie haben es nicht gesehen?«
    Â»Nein. Wie ich bereits sagte: Ich habe die beiden erst gesehen, als wir aus dem Wagen gestiegen sind.«
    Â»Wann sind Sie ausgestiegen?«
    Â»Danach erst, nach dem Unfall. Tut mir leid. Ich kann Ihnen da nicht weiterhelfen.«
    Erst jetzt nahm Maria Caterina die Hand vom Gesicht und ließ den Blick sinken wie eine stumpf gewordene Waffe.
    Luisa sah, wie sie den Rücken beugte und, wenn auch nur ein wenig, den Kopf hängen ließ. Das Gefühl, bedroht zu werden, war verschwunden. Jetzt spürte sie nur noch, dass sie dieser Frau wirklich gerne geholfen hätte. Aber wie?
    Â»Aber wissen Sie …«, begann sie nach einigen Augenblicken.
    Â»Was denn?«
    Â»Ach, nichts … Es ist nur …« Sie zuckte mit den Achseln. »Also, mir scheint Ihr Mann wirklich kein schlechter Mensch zu sein.«
    Maria Caterina öffnete ein wenig die Lippen. Es war ein Lächeln, doch ohne jedes Strahlen.
    Â»Nein. Eben. Das ist er auch nicht.«
    Es war bereits stockdunkel, als sie in den Glaspalast zurückkehrten. Die Tagundnachtgleiche war noch nicht lange vorüber, doch die Tage wurden schnell immer kürzer. Über dem Meer sah man einen helleren Schein. Paolo fragte sich, ob hinter den Wolken gerade der Mond aufging. Die Lichter der Raffinerie jenseits des Meerenge wirkten wie das Signal eines fernen Planeten. Plötzlich tauchten vor den Schein werfern des Mannschaftswagens zwei kleine stechende Lichter auf.
    Â»Was war das?«, fragte Paolo. »Ein Wildschwein?«
    Â»Nein«, antwortete Nitti. »Wildschweine haben trübe Augen, wie Esel. Das muss eine Katze gewesen sein.«
    Er schaltete den Suchscheinwerfer auf dem Wagendach ein.
    Â»Und wenn die sich hier rumtreibt, hat das sicher einen Grund …«
    Er griff durchs Seitenfenster hinauf und drehte den Scheinwerfer, leuchtete zunächst die Straße, dann die Umgebung links und rechts davon ab. Als der Strahl den Strandsee neben ihnen traf, stieß er ein zufriedenes Zischen aus.
    Â»Da! Hinter dem ist sie her …«
    Mit einem Bein im Wasser, das andere angehoben, zeichneten sich vor dem düsteren, stehenden Gewässer deutlich die Umrisse eines Reihers ab. Eine gestreifte Katze mit Augen so gelb wie Schwefel saß am Ufer und beobachtete sie mit unerschütterlicher Miene.
    Nitti drehte den Scheinwerfer zur anderen Seite der Fahrbahn, zum Meer hin und Luisa stieß einen kurzen, entzückten Schrei aus.
    Die Meeresoberfläche war von Scharen silberner Wesen aufgewühlt. Sie sprangen aus dem Wasser, glitzerten einen Augenblick lang im Kegel des Suchscheinwerfers und tauchten dann wieder, einen perfekten Bogen beschreibend, in die dunklen Wellen ein. Es waren viele, unglaublich viele.
    Â»Meeräschen«, sagte Nitti.
    Als Paolo seinen Sohn zum ersten Mal auf der Insel besuchte, hatte dieser ihm ein Geständnis gemacht. Das Schlimmste am Gefängnis, der härteste Verzicht, das was am schwersten zu ertragen war, sagte er, sei nicht die Nähe der fremden, verwahrlosten Körper. Auch nicht die Schikanen der Wärter. Oder die Gewalt, die Machtkämpfe und Verschwörungen unter den Häft lingen. Genauso wenig das fade Essen. Oder das Fehlen einer Frau. Das Verkümmern aller Gefühle.
    Â»Es ist die Nacht«, hatte sein Sohn zu ihm gesagt, »es ist vor allem die Nacht, die mir fehlt.«
    Nach einiger Zeit auf der Insel, so erzählte er seinem Vater, habe er

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