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Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel

Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel

Titel: Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jandy Nelson
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weiß nicht mehr, ob man noch irgendwas anderes mit den Lippen machen kann als Möbel küssen. In mir steckt keinerlei Unterhaltung. Ich hab mich mit niemandem aus
der Schule getroffen, ich will es auch nicht, ich hab nicht mal Sarah zurückgerufen, die mittlerweile dazu übergegangen ist, mir lange E-Mails zu schicken (Aufsätze), in denen sie abhandelt, dass sie mich überhaupt nicht für das verurteilt, was mit Toby vorgefallen ist, was mir genau zeigt, wie sehr sie mich für das verurteilt, was mit Toby vorgefallen ist. Ich tauche in die Küche ab, wieder in die Ecke, und bete darum, unsichtbar zu sein.
    »So, so, ein Troubadour«, sagt Grama, als sie die Tür aufmacht. Offensichtlich hat sie das Mesmerische an Joes Gesicht bemerkt und schon beginnt sie zu flirten. »Und ich hatte gedacht, wir befänden uns im 21. Jahrhundert …« Sie fängt an zu schnurren. Ich muss ihn retten.
    Zögernd komme ich aus dem Versteck und schließe mich Grama an, der Swami der Verführerinnen. Ich schau ihn mir genau an. Welche Strahlkraft er hat, das hatte ich ganz vergessen. Er wirkt wie eine andersartige menschliche Spezies, in deren Adern kein Blut, sondern Licht fließt. Seinen Gitarrenkasten lässt er auf der Spitze kreiseln, während er mit Grama spricht. Und er sieht überhaupt nicht so aus, als müsse er gerettet werden, er wirkt belustigt.
    »Hi, John Lennon.« Er strahlt mich an, als hätte es unseren Baumknatsch nie gegeben.
    Was machst du hier?, denke ich so laut, dass mein Kopf explodieren könnte.
    »Hab dich nirgendwo gesehen«, sagt er. Einen flüchtigen Augenblick beherrscht Schüchternheit sein Gesicht – davon bekomme ich so ein Flattern im Bauch. Uah, ich glaube, ich muss mir eine einstweilige Verfügung gegen sämtliche Jungs
verschaffen, bis ich dieses neu entdeckte Körperkribbeln im Griff habe.
    »Tretet ein«, sagt Grama, als ob sie mit einem Ritter spricht. »Ich hab gerade Frühstück gemacht.« Er sieht mich an, fragt mit seinen Augen um Erlaubnis. Grama redet immer noch, während sie in die Küche zurückgeht. »Du kannst uns ein Lied vorspielen und uns ein bisschen aufheitern.« Ich lächele ihn an, es ist unmöglich, es nicht zu tun, und mache eine einladende Geste mit meinem Arm. Als wir in die Küche kommen, höre ich Grama auf Big einflüstern, immer noch im Ritterjargon. »Meiner Treu, der junge Herr klimperte mir mit wahrlich langen Wimpern zu.«
    Seit den Wochen nach der Beerdigung haben wir keinen echten Besuch mehr gehabt, deshalb weiß ich nicht, wie ich mich verhalten soll. Onkel Big ist anscheinend auf den Fußboden hinabgeschwebt, er stützt sich auf den Besen, mit dem er die Toten zusammengefegt hat. Grama steht mit dem Pfannenheber in der Hand mitten in der Küche und das Lächeln auf ihrem Gesicht ist enorm. Ich bin mir sicher, sie hat vergessen, was sie anhat. Und ich sitze aufrecht auf meinem Stuhl am Tisch. Keiner sagt was und alle starren wir Joe an wie ein Fernsehgerät, von dem wir hoffen, dass es sich einfach selbst einschaltet.
    Das tut es.
    »Dieser Garten ist irre, ich hab noch nie solche Blumen gesehen, würd mich nicht wundern, wenn einige dieser Rosen mir den Kopf abhacken und mich in eine Vase stellen würden.« Verwundert schüttelt er den Kopf und sein Haar
fällt ihm allzu anbetungswürdig in die Augen. »Das ist wie Eden oder so.«
    »Sei schön vorsichtig im Garten Eden, all diese Verlockungen.« Der Donner von Bigs Gottesstimme überrascht mich – in letzter Zeit war er mein Verbündeter in Schweigsamkeit, sehr zu Gramas Missfallen. »Der Duft von Gramas Blumen soll schon alle möglichen Leiden des Herzens verursacht haben.«
    »Echt?«, sagt Joe. »Was denn?«
    »Da gibt es manches. Zum Beispiel erblüht durch den Duft ihrer Rosen eine unbändige Leidenschaft.« Bei diesen Worten wandert Joes Blick kaum merklich in meine Richtung – whoa, oder hab ich mir das nur eingebildet? Denn nun schaut er schon wieder zu Big, der immer noch redet. »Aufgrund persönlicher Erfahrungen und nach fünf Ehen kann ich das bestätigen.«
    Er grinst Joe an. »Übrigens, mein Name ist Big. Ich bin Lennies Onkel. Und du bist vermutlich neu hier, denn sonst würdest du all das längst wissen.«
    Wissen würde er, dass Big der Herzensbrecher der Stadt ist. Gerüchten zufolge packen nah und fern Frauen Picknickkörbe und machen sich auf die Suche nach dem Baum, in dem der Baumpfleger sitzt, in der Hoffnung, von ihm zum Mittagessen in seinem Korb hoch oben im Blätterdach eingeladen zu

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