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Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel

Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel

Titel: Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jandy Nelson
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Fluch.«

    Diese Maske hab ich immer gehasst. Sie ist von oben bis unten mit falschem Haar bedeckt, die Augenbrauen sind erstaunt hochgezogen und der Mund fletscht ein blankes, wölfisches Gebiss. »Die fand ich schon immer gruselig«, sage ich. »Bailey auch.«
    Grama nickt, doch sie scheint nicht bei der Sache zu sein. Ich glaub, sie hört mir gar nicht zu, und das passt eigentlich gar nicht zu ihrem Verhalten in letzter Zeit.
    »Lennie«, sagt sie vorsichtig. »Ist zwischen dir und Toby alles in Ordnung?«
    Mein Magen krampft sich zusammen. »Na klar«, sage ich und schlucke, ich will ganz lässig klingen. »Warum?« Sie guckt mich an wie eine Eule.
    »Ich weiß nicht, gestern Abend wart ihr so komisch zueinander.« Argh. Argh. Argh.
    »Und ich frag mich immerzu, warum Sarah nicht vorbeikommt. Habt ihr euch gestritten?«, sagt sie und kurbelt meine Schuldgefühle ordentlich an.
    In diesem Moment kommen Big und Joe herein und retten mich. Big sagt: »Wir glauben, wir haben heute Lebenszeichen in Spinne Nummer sechs gesehen.«
    Joe sagt: »Ich hab ein Zucken gesehen, das schwöre ich.«
    »Hätte fast einen Herzinfarkt gekriegt, unser Joe, wär beinah durch die Decke gegangen, aber es muss ein Luftzug gewesen sein, der kleine Kerl ist immer noch mausetot. Und die Lenniepflanze siecht nach wie vor dahin. Ich muss die Sache noch mal überdenken, vielleicht sollte ich noch eine UV-Lampe reinhängen.«
    »Hey«, sagt Joe, stellt sich hinter mich und legt mir die
Hand auf die Schulter. Ich schaue hoch in die Wärme in seinem Gesicht und lächele ihn an. Ich glaube, er könnte mich selbst am Galgen noch zum Lächeln bringen – und der Weg dahin ist mir vorgezeichnet, kein Zweifel. Eine Sekunde lang lege ich meine Hand auf seine, sehe, wie Grama das bemerkt, als sie aufsteht, um uns Frühstück zu machen.
    Irgendwie fühle ich mich verantwortlich für die gerührte Asche, die wir alle in uns reinschaufeln, mir kommt es vor, als hätte ich unseren Haushalt vom Pfad der Heilung abgebracht, auf dem er sich gestern Morgen noch befunden hat. Joe und Big witzeln über die Wiederauferstehung von Krabbeltieren und explodierende Kuchen – ein Gespräch, das sich nicht totlaufen will -, während ich aktiv darum bemüht bin, Gramas argwöhnischen Blicken zu entgehen.
    »Ich muss heute früher zur Arbeit, wir machen das Catering für Dwyers Party heute Abend«, teile ich meinem Teller mit, aber ich sehe Grama am Rande meines Sichtfeldes nicken. Sie weiß davon, weil sie gebeten worden ist, beim Blumenschmuck zu helfen. Sie hat laufend Anfragen nach Blumenschmuck für Feste und Hochzeiten, sagt aber selten zu, weil sie Schnittblumen hasst. Auf das Schneiden ihrer Büsche oder Blüten steht die Todesstrafe, deshalb lassen wir alle die Finger davon. Wahrscheinlich hat sie dieses Mal Ja gesagt, weil sie mal einen Nachmittag aus dem Haus wollte. Manchmal stelle ich mir die armen Gärtner überall in der Stadt vor, die diesen Sommer ohne Grama auskommen müssen, sie stehen in ihren Gärten und kratzen sich ratlos den Kopf wegen ihres lustlosen Blauregens, ihrer vereinsamten Fuchsien.

    Joe sagt: »Ich begleite dich. Ich muss sowieso ins Musikgeschäft.« Alle Fontaine-Jungs arbeiten diesen Sommer angeblich für ihre Eltern, die eine Scheune zur Werkstatt umgebaut haben, in der Joes Vater besondere Gitarren herstellt, doch ich habe den Eindruck, sie verbringen den ganzen Tag mit der Arbeit an neuen Songs für ihre Band Dive .
    Wir machen uns auf den nicht besonders weiten Weg in die Stadt, der heute zwei Stunden zu dauern scheint, weil Joe jedes Mal stehen bleibt, wenn er was zu sagen hat, und weil das alle drei Sekunden der Fall ist.
    »Sag mal, kannst du nicht gleichzeitig gehen und reden?«, frage ich.
    Er macht eine Vollbremsung. »Nee.« Dann geht er eine Minute schweigend vor sich hin, bis er es nicht mehr aushält und stehen bleibt, sich zu mir umdreht, meinen Arm nimmt und mich zwingt, ebenfalls anzuhalten, während er mir sagt, dass ich unbedingt nach Paris fahren muss, wie wir da in der Metro Musik machen werden, einen Haufen Geld verdienen und nur Schokoladencroissants essen, Rotwein trinken und die ganze Nacht aufbleiben werden, weil in Paris niemand schläft. Die ganze Zeit kann ich sein Herz schlagen hören und ich denke: warum nicht? Ich könnte aus diesem traurigen Leben schlüpfen wie aus einem alten, schlabbernden Kleid und mit Joe nach Paris gehen. Wir könnten in ein Flugzeug steigen, über den Ozean fliegen und in

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