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Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel

Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel

Titel: Über mir der Himmel - Nelson, J: Über mir der Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jandy Nelson
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weggeküsst und das andere, das beinahe geschehen wäre, und dann gibt es nur noch uns beide, Joe und mich, im Zimmer, auf der Welt, in meinem verrückten überquellenden Herzen.
    Meine Güte.
    Einen Augenblick lang lasse ich beiseite, dass ich zur totalen
Schlampe-Nutte-Hure-Tussi-Lolita-Flittchen-Nymphchen-Schnecke geworden bin, denn plötzlich geht mir etwas Unglaubliches auf. Das ist es – darum machen sie in Sturmhöhe so ein Getue – es läuft alles auf dieses eine Gefühl hinaus, das in diesem Moment in mir rast, als unsere Münder sich nicht trennen wollen. Wer hätte denn gedacht, dass ich die ganze Zeit nur einen Kuss davon entfernt war, Cathy und Juliet und Elizabeth Bennet und Lady Chatterley zu sein?!
    Vor Jahren lag ich auf dem Rücken in Gramas Garten und Big fragte mich, was ich da machte. »In den Himmel gucken«, hab ich geantwortet. Und er sagte: »Das ist ein Missverständnis, Lennie, der Himmel ist überall, er beginnt bei deinen Füßen.«
    Als ich Joe küsse, glaube ich das zum ersten Mal in meinem Leben.
    Ich bin wie im Delirium, im Joelirium, denke ich. Einen Moment ziehe ich meinen Kopf zurück und mache die Augen auf, ich sehe, dass der Joe-Fontaine-Dimmer wieder voll aufgedreht und er auch im Joelirium ist.
    »Das war -« Ich kann kaum Worte bilden.
    »Unglaublich«, unterbricht er. »Verdammt incroyable .«
    Benommen starren wir einander an.
    »Klar«, sage ich, denn plötzlich fällt mir wieder ein, dass er mich heute Abend zu sich nach Hause eingeladen hat.
    »Was klar?« Er schaut mich an, als würde ich Suaheli sprechen, dann lächelt er, legt die Arme um mich und sagt: »Bist du bereit?« Er hebt mich hoch und wirbelt mich herum. Plötzlich bin ich in dem idiotischsten Film, der je gedreht
wurde, lache und fühle ein so riesiges Glück, dass ich mich dafür schäme, so fühlen zu können in einer Welt ohne meine Schwester.
    »Klar, komme ich heute Abend rüber«, sage ich. Alles hört auf sich zu drehen und ich lande wieder auf meinen eigenen beiden Füßen.

17. Kapitel

    (Gefunden auf einer Serviette in einem Becher, Cecilias Bäckerei)

    »ICH GEH RÜBER zu Joe«, sag ich zu Grama und Big, die jetzt beide zu Hause sind, ihr Lager in der Küche aufgeschlagen haben und ein Baseballspiel im Radio hören, so wie 1930.
    »Klingt nach einem guten Plan«, sagt Grama. Sie hat die nach wie vor verzweifelnde Lennie-Topfpflanze unter der Pyramide rausgeholt und sich neben sie an den Tisch gesetzt, wo sie ihr leise etwas von grünerem Gras vorsingt. »Ich mach mich nur eben frisch und hole meine Tasche, kleine Wicke.«
    Das kann sie doch nicht ernst meinen.
    »Ich komm auch mit«, sagt Big, der über einem Kreuzworträtsel hockt. Er ist der schnellste Kreuzworträtsler der Christenheit. Ich schaue zu ihm rüber und stelle fest, dass er diesmal jedoch die Felder mit Zahlen gefüllt hat statt mit Buchstaben. »Sobald ich hiermit fertig bin, können wir uns auf den Weg zu den Fontaines machen.«
    »Äh, das finde ich nicht«, sage ich.
    Beide schauen sie mich ungläubig an.
    Big sagt: »Was soll das denn heißen, Len? Er ist jeden Morgen hier, da ist es doch nur recht und billig, wenn -«
    Und dann kann er die Sache nicht mehr aufrechterhalten und prustet los wie Grama. Ich bin erleichtert. Ich hatte schon angefangen mir vorzustellen, wie ich mit Grama und Big im Schlepptau den Hügel hinaufklettere: Die Munsters begleiten Marilyn zu einem Rendezvous.
    »Meine Güte, Big, sie hat sich schön gemacht. Und sie trägt das Haar offen. Schau sie nur an!« Das ist ein Problem. Kurzes Blumenkleid, hohe Absätze, Lippenstift und Wuschelhaar, ich hab mich für einen Look entschieden, bei
dem niemand einen Unterschied bemerken würde zu dem Jeans-Pferdeschwanz-und-kein-Make-up-Look, den ich jeden anderen Tag meines bisherigen Lebens kultiviert habe. Ich weiß, dass ich rot werde, und ich weiß auch, dass ich jetzt lieber gehen sollte, bevor ich wieder nach oben renne und Baileys Guinnessbuchrekord im Kleiderwechseln vor einem Date von siebenunddreißig Sekunden breche. Dies war erst mein achtzehntes Outfit, aber Kleiderwechseln ist eine exponentielle Aktivität, der Wahn kann sich nur steigern, das ist ein Naturgesetz. Nicht mal der heilige Antonius, der vom Nachttisch zu mir herüberlinst und mich an das erinnert, was ich gestern Abend in der Schublade gefunden habe, hat mich da rausholen können. Mir ist aber wieder was über ihn eingefallen. Er war wie Bailey, charismatisch bis zum Anschlag. Er hat

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